Von Größe 36 auf 40: Wenn sich der Stoffwechsel plötzlich ändert

Als meine Lieblingsjeans das erste Mal anfing zu kneifen, glaubte ich noch an einen Zufall. Als sich ihr dann allerdings nach und nach mein gesamter Kleiderschrank anschloss, konnte ich den unangenehmen Fakt nicht mehr ignorieren – ich hatte zugenommen. Und zwar ordentlich.

Kurzer Rückblick: Ich war mein Leben lang eines dieser Mädchen, die keiner mag. Weil ich essen konnte was ich wollte und trotzdem immer untergewichtig war. In der Grundschule, im Tennisverein, auf dem Gymnasium – meine Oberschenkel hatten den Durchmesser eines normalen Unterschenkels und es gab so manche Situation, in der mich besorgte Erwachsene zur Seite nahmen und fragten, ob mit mir alles ok sei oder warum ich nicht essen würde. Haha, wenn die wüssten! Ich esse schon immer (wie inzwischen allgemein bekannt sein dürfte) für mein Leben gerne Pizza, Döner und auch sonst alles was mehr Kalorien als Vitamine hat.

In meiner Pubertät habe ich mich für meine androgyne Statur noch geschämt. Während die Mädchen in meiner Klasse Hüften und Brüste bekamen, blieb ich ein Spargel. Erst mit 17, 18 erkannte ich die Vorteile. Meine Freundinnen begannen die ersten Diäten und waren beim Feiern meist schneller betrunken als ich, da sie nur einen Salat zum Abendessen hatten. Ich aber aß wie die Jungs. Das war meine Superkraft. Und auch wenn mir von Hatern nicht selten eine Essstörung unterstellt wurde („Die muss doch heimlich kotzen, anders geht das gar nicht!“) war ich ziemlich glücklich über meine guten Gene, meinen Wunderstoffwechsel und meinen gesunden Appetit. Bis jetzt. Ich bin 29, mein dreißigster Geburtstag steht kurz bevor und ich habe in den letzten anderthalb Jahren acht Kilo zugenommen. WTF?!

Ich habe in meinem Leben noch nie zugenommen, Kalorien gezählt oder auch nur annähernd Verzicht in Sachen Fast Food oder Süßigkeiten üben müssen. Wahrscheinlich hasst Ihr mich jetzt schon, aber wartet ab – die ausgleichende Gerechtigkeit kommt noch! Ich musste mir alle meine meine Hosen zwei Nummern größer kaufen und trotzdem bekomme ich nach einem ganzen Tag in High-Waist-Jeans noch Atemnot.

Als das Zunehmen begann, also vor circa anderthalb Jahren, haben sich zwei Sachen in meinem Leben geändert: Ich habe meinen Freund kennengelernt und bin zum ersten Mal seit langer Zeit in einer festen Beziehung und hatte mit chronischen Entzündungen (Nebenhöhle, Blase etc.) zu kämpfen und musste jede Menge Antibiotika schlucken. Seitdem bin ich konstant am Zunehmen. Immer häufiger bekam ich dann zu hören: „Das ist das Alter! Mit 30 verzeiht der Körper das eben nicht mehr so schnell.“

Sollte meine Superkraft einfach so von heute auf morgen weg sein? Sollte ich ab sofort wie die meisten Frauen auf meine Ernährung achten müssen um nicht noch weiter zuzunehmen? Eine Horrorvorstellung für mich. Einfach deshalb, weil ich Verzicht beim Essen eben nie lernen musste. Viele Frauen erkennen schon früh, dass es sich Burger, Pizza & Co. eben besonders gerne auf den Hüften bequem machen. Ich nicht. Und genau deshalb geht mir der Gedanke auf all diese leckeren, fettigen Sachen verzichten zu müssen, ordentlich gegen den Strich.

Zuerst dachte ich, es seien die berühmten „Beziehungsfunde“, aber um ehrlich zu sein koche ich mit meinem Freund sogar mehr und gesünder, als zu Singlezeiten und auch Obst gab es bei mir vorher im Gegensatz zu jetzt eigentlich nie. Die nächste Vermutung: All die Antibiotika haben meinen Darm und meine Verwertungsanlage nachhaltig geschädigt. Also ging ich zur Heilpraktikerin, machte Darmsanierungen, ließ mein Blut untersuchen und – nix. Keine Veränderung.

Versteht mich bitte nicht falsch – mir ist völlig bewusst, dass ich noch weit davon entfernt bin „dick“ zu sein und ich fühle mich noch nicht mal wahnsinnig unwohl mit meiner neuen Figur. Aber es ist ungewohnt und ich merke einfach, dass da ein paar Pfunde drauf sind, die von der Natur so nicht vorgesehen sind. Ich bin kein weiblicher Typ mit Kurven und großen Brüsten, dem die Kilos gut stehen, weil man sieht, dass der Körperbau eben genau dafür gemacht ist. Ich bin ein Spargel mit Minibrüsten und dünnen Storchbeinen – und mit den zusätzlichen acht Kilos sehe ich einfach eigenartig statt gesund aus.

Was sagt der Experte dazu?

Nachdem also Option A „Beziehungspfunde“ und auch Option B „Antibiotika-Konsequenzen“ irgendwie ins Leere geführt haben, blieb nur noch Option C: Mein Stoffwechsel hat sich verändert. Super – und was heißt das jetzt? Um die Mythen rund ums Zunehmen über 30 mal ein bisschen näher zu beleuchten, habe ich beim Experten nachgefragt. Dottore (hat seinen Doktor in Italien gemacht) Thomas Platzer ist Arzt für Allgemein- und Ernährungsmedizin aus München und ein echter Profi was Stoffwechselveränderungen betrifft. Here we go…

Frollein Herr.: Wieso können manche Frauen einfach mehr essen als andere ohne zuzunehmen?

Dr. Thomas Platzer: „Der Herrgott gibt´s, der Herrgott nimmt’s“, heißt es so schön. Das ist zwar simpel, bringt aber nicht weiter. Jeder Mensch ist einzigartig, so auch seine endokrinologische Ausstattung (Stoffwechsel), seine Konstitution. Stichworte hier sind die Geschlechtshormone im Zusammenspiel mit der Ernährungsweise, dem Insulin (als sogenanntes „Überlebens-“ heute sogar „Fettmasthormon“), welches auch über die Ernährung gesteuert wird, die Chronobiologie („wann esse ich was“, die Uhrzeit spielt eine wichtige Rolle) und der Stresshormon-Achse. Damit hängen Zyklus-Regelmäßigkeit und Gewicht eng verknüpft zusammen.

F. H.: Stimmt der Mythos, dass es Frauen mit zunehmendem Alter immer schwerer wird, ihre „schlanke Linie“ zu behalten?

T.P.: Leider ja. Denn so, wie die Chronobiologie uns im täglichen Rhythmus beeinflusst (man denke an die altgediente „Fieberkurve“ am Krankenbett, morgens niedrig, abends hoch durch den tagesbiologischen Veränderungen der Cortisol-Ausschüttung), ändern sich auch andere Hormongefüge im Laufe eines Monats („Mensis“) und eines Lebens. Das betrifft auch das Spiel der Genderhormone und der hormonell gesteuerten Fetteinspeicherung und das Vorhalten dieser gespeicherten Energie.

F.H.: Wie verändert sich denn der weibliche Stoffwechsel zwischen 20 und 40 genau?

T.P.: Nicht nur der weibliche Stoffwechsel verändert sich in diesen Jahren, sondern auch der männliche. Männer wollen das nicht wahr haben, zu sehr spricht man nur von der Menopause und lässt die männlichen Wechseljahre (Andropause) außen vor. Die Evolution hat diese Lebensspanne als jene der Replikation entworfen, wobei die Fortpflanzung an sich ab der Pubertät möglich ist und seinerzeit auch da bereits stattfand. Moderne Lebensweisen lassen die Hebamme bei der 40-jährigen heute zuständig sein, von Natur wegen wäre sie da aber bereits achtfache Mutter. Mit einer Lebenserwartung von maximal 50 Jahren. Genderhormonspiegel verändern sich durch deren niedriger werdenden Spiegel, auf beiden Seiten.

F.H.: In meinem konkreten Fall konnte ich mein Leben lang essen was ich wollte, ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen. Seit gut anderthalb Jahren aber, habe ich acht Kilo zugenommen und mein Körper verzeiht mir die gewohnten Sünden nicht mehr so leicht. Bluttests etc. waren alle unauffällig. Kann es sein, dass das am Alter liegt?

T.P.: Es kann sehr wohl am Alter liegen, aber auch an den nicht ausreichenden Bluttests. Man muss bei einem solchen Test immer wissen wonach man sucht, sonst sieht man auch nichts Auffälliges. Diese speziellen Untersuchungen macht man im kassenärztlichen Bereich nicht und folglich scheint alles prima. Der geschulte Arzt (beispielsweise einer, der in der GSAAM e.V. (German Society of Anti-Ageing Medicine) organisiert ist und Weiterbildungen dort gemacht hat, wo sie tatsächlich sinnvoll sind, dreht sich und den Patienten einmal um die Achse und sucht an den richtigen Stellen. In Ihrem Fall gibt es wohl weitere Hintergründe, allesamt allerdings hormonell erklärbar (und damit verbesserbar, reversibel).

F.H.: Und was würden Sie mir jetzt konkret raten? Muss ich jetzt meine gesamte Ernährung umstellen?

T.P.: Vor der Umstellung liegt die Anamnese, die Ermittlung der Vorgeschichte. Möglicherweise lautet die Antwort „ja“, aber das müsste man durch spezifische, eingehende Untersuchungen erörtern.

Fazit

Der Stoffwechsel und Hormonhaushalt einer Frau ändert sich im Laufe Ihres Leben massiv und kann so einiges auf den Kopf stellen. Bei deutlicher und vor allem plötzlicher Gewichtszunahme, die sich auf Teufel komm raus einfach nicht erklären oder beeinflussen lässt, kann nur ein Fachmann Licht ins Dunkel bringen. Denn nur der kann durch gezielte Untersuchungen der Ursache auf den Grund gehen. Ich muss sagen, dass ich jetzt wirklich ein wenig erleichtert bin und definitiv einen Termin bei Dr. Platzer ausmachen werden. Und wer weiß – vielleicht bekomme ich meine Superkraft ja dann doch wieder zurück!

Und wer weiß – vielleicht bekomme ich meine Superkraft ja dann doch wieder zurück!

Update vom 17.7.2018

Inzwischen ist einige Zeit vergangen, seitdem ich diesen Artikel verfasst habe. Wie es mit der Spurensuche und der Gewichtszunahme weiterging, lest ihr hier, hier und hier.

17 Antworten zu “Von Größe 36 auf 40: Wenn sich der Stoffwechsel plötzlich ändert”

  1. Hast du vielleicht noch etwas anderes geändert in letzter Zeit? Für eine solche „schleichende“ Zunahme reichen meist kleine Veränderungen im Alltag, z.B. ein etwas umfangreicheres Frühstück oder ein Tag weniger Fitness in der Woche. Diese können zu einem kleinen Kalorienüberschuss führen, welcher sich mit der Zeit summiert. Genau feststellen lässt es sich z.B. durch ein Ernährungstagebuch, also eine App, in der du einfach mal 2-4 Wochen lang dein Essen aufschreibst. Zusammen mit täglichem Wiegen kannst du so recht gut sehen, wo es evtl. hakt.
    Der Stoffwechsel ist selten die Ursache von Gewichtszunahme, aber leider ein beliebter Sündenbock. Meist liegt es an unseren Gewohnheiten, und daran, dass wir super im Selbst-Täuschen sind.

    • Da hast du sicher recht, aber ich konnte bisher einfach keine dieser Gewohnheiten ausmachen… Aber ich werd weiter forschen 😉

      • Zucker und Mehlprodukte weglassen. Zucker versteckt sich leider in den meisten Lebensmitteln im Supermarkt. Einfach mal am Etikett nachlesen. Ich hole fast alle Produkte von Biobauern und meide so gut wie es geht die Supermärkte.

  2. Hast du mit dem Rauchen aufgehört? Isst du regelmässiger, seit du mit deinem Freund zusammen bist? Das sind die wahrscheinlichsten Gründe. Und ganz umsonst bzw. ungleich preiswerter als ein Termin bei einem Anti-Aging-Mediziner, bei dem bei einer 29-jährigen, zum Glück gesunden Frau auch nichts anderes herauskommen kann…

    • Hallo liebe Hanna,
      Ich habe weder mit dem Rauchen aufgehört, noch esse ich mehr, seitdem ich meinen Freund kenne. Ich habe alle naheliegenden Gründe abgeklappert und bin leider nicht schlau draus geworden… Aber ich bleibe dran!
      Liebe Grüße,
      Karo

  3. Ach, wie mir dieser Artikel aus dem Herzen schreibt. Ich war auch so eine Lauchzwiebel, habe immer viel Sport gemacht und beim Essen konnte ich hemmungslos zuschlagen: bis kurz nach meinem 30sten Lebensjahr. Irgendwann begannen meine Hosen (damals 34) zu kneifen, habe auch insgesamt 8 Kg zugenommen aber innerhalb von 15-18 Jahren. Heute trage ich Größe 36/38, was jetzt keine Tragödie ist, aber leider musste ich auch lernen auf meine Ernährung zu achten, auch mal auf Leckereien zu verzichten und muss nun die Kalorien zählen. Bin jetzt Mitte 40, zwar von mollig oder dick noch sehr weit entfernt aber es geht einem schon auf den Zeiger, nicht mehr herzhaft zuschlagen zu können und auf die Kalorien achten zu müssen. Für meine damalige Statur müsste ich wohl inzwischen hungern, da gäbe es wohl nur noch Salat mit Knäckebrot und Magerjoghurt xD. Ne, muss nicht sein, ich habe die zusätzlichen Kilos jetzt einfach akzeptiert und verstanden, dass man mit 40 plus eben nicht mehr aussehen kann wie damals mit 20. Ich kenne nur einige wenige Glückspilze die sogar noch mit über 50 gertenschlank geblieben sind, aber die tun nix dafür. Ist einfach genetische Veranlagung bei denen. Die meisten müssen früher oder später auf ihre Ernährung achten. Leider 🙁

    • Also mit 36/38 bist du doch immer noch super schlank!!!! Aber ich verstehe was du meinst. Man sieht sieht sich selbst immer anders und keiner steckt im eigenen Körper drinnen… Bei mir war es dann ja doch nicht „nur“ das Älterwerden (ich habe noch ein paar weitere Artikel zu der Thematik geschrieben), aber die Zeiten des endlosen Naschen sind leider vorbei 🙁 Allerliebste Grüße, Karo

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