Kolumne: Work-Life-Balance – was war das nochmal?

Heute weiß ich ehrlich gesagt gar nicht so recht wie ich anfangen soll – was mir bei Texten eher selten passiert. Bereits seit Wochen kaue ich gedanklich auf dem Thema der heutigen Kolumne rum, entwickle Gedanken und erkenne Zusammenhänge und komme dann doch wieder zu keiner Lösung oder Antwort. Jeder einzelne Gedanke ist mit so vielen anderen verwoben, dass ich schnell gar nicht mehr weiß, worauf ich eigentlich hinaus wollte und ob ich es überhaupt schaffe hier eine nachvollziehbare kausale Struktur zu entwickeln. Aber hey – wer sagt denn, dass Gedanken in Strukturen funktionieren müssen und am Ende eines Textes immer eine Lösung steht? Deshalb lasst es mich recht roh und direkt aus meinem Hirn auf euren Screen bringen: Wie zur Hölle soll man derzeit eine ausgewogene Balance zwischen Arbeit und (Privat)Leben finden? Wie soll man es unter den gegebenen pandemiebedingten Umständen schaffen, neben den individuellen beruflichen Anforderungen und Aufgaben ein Gegengewicht im privaten Leben finden, das gedankliches und physisches Abschalten ermöglicht?

Dass die Balance aus Arbeit und Nicht-Arbeit in einer Gesellschaft, die Überstunden glorifiziert und das persönliche Wachstum immer noch belächelt, per se eine Herkules-Aufgabe ist, sei jetzt einfach mal sowieso vorausgesetzt.

Corona aber, diese langen Monate voller Einschränkungen, Ängste, Sorgen und Eintönigkeit, die hinter (und noch vor) uns liegen, hat mir persönlich sehr stark vor Augen geführt, wie wenig Ausgleich derzeit neben der Arbeit möglich ist. Und dabei bin ich ja noch nicht einmal Mutter oder habe ein komplexes Privatleben neben meiner Arbeit zu organisieren. Ich muss niemanden home schoolen, mich um niemanden kümmern, niemanden (bis auf meinen Freund natürlich) groß in meinen Alltag mit einplanen. Und trotzdem merke ich, dass ich seit inzwischen 15 Monaten im Grunde nichts tue, nichts plane, nichts angehe, was nicht in irgendeiner Weise mit meiner Arbeit zu tun hat. Klar, meine kleinen Heim-Projekte, meine DIY’s, meine kreativen Outlets sind hier ein erster Schritt und für mich in den letzten Monaten regelrecht lebensnotwendig geworden, aber sie sind dann ja doch nicht ganz von meiner Arbeit zu trennen.

Das hab ich nun davon, dass ich in keinem Sportverein bin, keine richtigen Hobbies habe und mir eigentlich nie so recht Gedanken um einen privaten Ausgleich zu meiner Arbeit gemacht habe. Erst jetzt, während dieser globalen Ausnahmesituation wird mir bewusst, wie groß mein Bedürfnis nach ein paar Stunden in der Woche ist, in denen ich mal auf andere Gedanken komme, Aufgaben und Deadlines vergesse und tatsächlich abschalten kann. Aber wie? Bis auf den vermaledeiten drölftausendsten Spaziergang ohne Ziel gibt es ja nichts, wo man hin könnte. Ja, Natur ist schön und ja, die hilft auch ab und an. Aber eine richtige Ablenkung, ein echter Ausgleich sind diese Runden um den Block dann doch meist nicht.

Sehen wir mal von Wochenendausflügen oder spontanen Runden durch die Vintagestores in der Nähe ab, waren meine einzigen größeren privaten Punkte, die der Arbeit mal ein Ende gesetzt haben, Urlaube. Hier habe ich zwar auch nie komplett abschalten können, aber ich habe zumindest mein Bestes gegeben, so viel Urlaub zu machen, wie mir eben als Selbstständige möglich war. Jetzt aber ist der Urlaub erstmal keine Option. Reisen? Fehlanzeige. Und selbst wenn ich mir dann mal kleine Inseln der Auszeit schaffe, wie Silvester in Berlin oder Ostern im Schwarzwald, verleiten mich die äußeren Umstände (geschlossene Restaurants, Ausgangsbeschränkungen etc.) dann doch immer wieder dazu, die leere Zeit mit Arbeit zu füllen.

Einfach weil ich, wie sicherlich auch viele von euch, gelernt habe ständig produktiv sein zu wollen.

Einfach mal nichts tun, nichts erledigen oder abhaken – das fühlt sich doch schlichtweg einfach nur faul an. Nach ungenutzter Zeit, nach verschenktem Leben. Das war früher für eine begrenzte Zeit vielleicht noch eher erträglich, jetzt aber, wo diese vermeintlich „ungenutzte Zeit“ schon länger als ein Jahr geht, wird’s halt echt hart. Was mir an dieser Stelle aber wichtig ist zu betonen: Ich möchte mit meinen Aussagen, mit dem Frust, der zwischen den Zeilen zu lesen ist, keine grundlegende Kritik an den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zum Ausdruck bringen. Natürlich leuchtet es mir ein, dass genau DAS, also das Fehlen von Anlaufpunkten und Zielen, ein wichtiger und entscheidender Grundpfeiler der Kontaktreduktion und somit der Pandemiebekämpfung ist. Ich habe hier auch keine grandiose Alternativstrategie anzubieten. Kein „aber so würde es doch besser gehen“. Das überlasse ich lieber denen, die hier zu entscheiden haben.

Und trotzdem spüre ich den Frust, die Resignation, die von Zeit zu Zeit auftretende unerbittliche Langeweile, die ihre Fratze immer öfter zeigt, während mal auch am Wochenende schlussendlich auch nur doof in der Bude rumsitzt. Und ich frage mich, ob das jetzt ausschließlich eine Nebenwirkung von Corona ist oder ob sich nicht vielleicht viel grundlegender etwas an unserer Auffassung von Auszeit, Privatleben und Nichtstun ändern müsste. Und genau hier liegt der gedankliche Knoten, der mich bei diesem Thema ein wenig ins Straucheln gebracht hat. Gehen diese Gefühle sofort wieder weg, sobald ich wieder shoppen, essen gehen oder Freunde treffen kann? Ist das wirklich des Rätsels Lösung? Oder liegt der Hund nicht vielleicht eher in unserer Auffassung von Produktivität begraben? Klar, derzeit wird dieser Ausgleich, das „Life“ in Work-Life-Balance erschwert, aber haben wir nicht vor 15 Monaten genauso gestruggled, uns für die Dinge, die wir nur für uns tun, nicht ständig zu rechtfertigen und stattdessen stolz von Überstunden, Nachtschichten oder Terminen ohne Ende erzählt?

Also ich höre Menschen eher selten sagen „Boah, diese Woche hab ich echt viel für mich getan!“ oder „Überstunden? Dann verpasse ich ja den 20.15 Uhr Film!“. Stattdessen wird auch auf Instagram gern ein Zeitraffervideo der Arbeit gezeigt und mit einem beliebten Hashtag à la #gettingshitdone versehen. Schon klar – wir müssen alle unseren shit done bekommen. Und das kann für viele von uns sogar sehr befriedigend sein (da schließe ich mich sogar ein). Aber wohin führt eine Produktivitätsauffassung, die sich alleine auf das Arbeitsleben und eben nicht auf persönliche Erfüllung, Auszeit oder gar Faulheit konzentriert? Ich denke, dass sich genau das derzeit zeigt. Nämlich in den Gefühlen, die so viele von uns gerade umtreiben. Das Leben fühlt sich leer an, ungenutzt, verschenkt. Weil wir schlichtweg gezwungen werden, abseits unserer Arbeit nicht wirklich produktiv sein zu können. Denn nach 15 Monaten sind irgendwann alle Keller ausgemistet, alle Wände neu gestrichen und der Balkon drei Mal neu bepflanzt (glaubt mir, ich weiß wovon ich spreche). Und dann bleibt doch wieder nur die Arbeit, das Schaffen, das Abhaken, um sich irgendwie nützlich zu fühlen.

Womit wir am Ende meiner heutigen Kolumne und der bereits angekündigten fehlenden Lösung des Problems angelangt wären. Nein, ich weiß nicht, wie wir dieses Dilemma grundlegend besiegen können, da auch ich viel zu tief in der Selbsterfüllung-durch-Arbeit-Mentalität stecke. Was ich aber weiß, ist, dass wir auch oder vielleicht besonders in Pandemiezeiten, nicht vergessen dürfen, dass es ok ist, sich um Ausgleich zur eigenen Arbeit zu bemühen. Dass Faulsein vielleicht ein ganz dringend notwendiger Mechanismus ist, der ein natürliches Gegengewicht zur allgegenwärtigen Leistungserwartung schafft. Und dass wir genau das auch nach Corona nicht wieder viel zu schnell aus den Augen verlieren.

Also: Lasst uns heute mal faul sein. So richtig. Für die Seele und für die Work-Life-Balance.

Bild im Header: @naomitalknyc

2 Antworten zu “Kolumne: Work-Life-Balance – was war das nochmal?”

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