„Du kannst Angst haben und trotzdem eine coole Frau sein!“ – im Gespräch mit Antonia Wille über ihre Angststörung und ihr Buch „Angstphase“

Im Gespräch: Angststörung

Wir alle haben mal Angst.

Vor Spinnen, der Dunkelheit oder dem Tod. Angst macht uns vorsichtig und aufmerksam, lässt uns Risiken abwägen und hilft uns so potenziellen Gefahren zu entgehen. Was aber, wenn die Angst keinen offensichtlichen Auslöser hat? Wenn sie kommt und geht wie sie will und uns irgendwann komplett bestimmt? Wenn Panikattacken und Herzrasen zum Alltag werden und man sich nach und nach allen Situationen entzieht, die möglicherweise Angst auslösen könnten? Dann spricht man in der Medizin von einer Angsterkrankung oder Angststörung. Neben Depressionen sind Angststörungen die zweithäufigste psychische Erkrankung überhaupt und alleine in Deutschland leiden 12 Millionen Menschen unter der alles bestimmenden Panik. Eine davon ist Antonia Wille. Bloggerin, Redakteurin und eine, wie ich selbst bestätigen kann, ziemliche coole und toughe Person.

Ihr kennt Antonia vielleicht schon aus meinen Routine Questions oder von Amazed, dem Blog, den sie gemeinsam mit ihren zwei Kolleginnen Milena und Amelie seit Jahren erfolgreich betreibt. Antonia arbeitet, lebt und nimmt am Leben teil – aber Antonia hat auch Angst. Und das schon seit über 20 Jahren. Über genau diese Angst hat sie jetzt ihr erstes Buch geschrieben und behandelt darin nicht nur ihre ganz persönliche Geschichte, die Auslöser und Ängste, die Höhen und Tiefen, sondern macht vor allem eines: Mut. Liebevoll, ehrlich und ungeschönt erzählt Antonia in „Angstphase“ wie sie schon als 11-Jährige mit Panikattacken zu kämpfen hatte, wieso Urlaube oder Reisen komplett unmöglich wurden und es trotzdem schaffte, sich selbst, auch mit der Angst, zu akzeptieren und zu lieben.

Ich habe das Buch in meinem Skiurlaub verschlungen und bewundere Antonia für ihren Mut, die Offenheit und die Stärke, die in jedem ihrer Worte zu spüren ist. Deshalb kann ich ihr Buch nur jedem von Euch ans Herz legen und freue mich sehr, dass ich Antonia für ein kleines Interview begeistern konnte…

Antonia Wille

Frollein Herr: Erstmal Herzlichen Glückwunsch zu deinem ersten Buch, liebe Antonia! Und dann gleich so ein persönliches. In „Angstphase“ erzählst du von deiner Angststörung, die dich inzwischen schon über 20 Jahre begleitet. Wie kam es, dass du jetzt so offen darüber sprichst und sogar ein Buch darüber schreibst?

Antonia Wille: „Ich wusste, dass ich irgendwann auf jeden Fall über das Thema Angst schreiben will. Als Journalistin und Bloggerin hatte ich immer im Kopf, dass ich ein so wichtiges Thema, das mich selbst ja sehr beschäftigt, irgendwann behandeln will. Ob als Roman, als Artikel oder als Sachbuch. Dass es jetzt so persönlich und offen geworden ist, war nicht unbedingt geplant, aber ich denke, es ist genau richtig so. Ich wollte mit dem Buch anderen Menschen Mut machen und ihnen zeigen, du kannst Angst und Panik haben und trotzdem eine coole Frau (oder Mann) sein.“

F.H.: War das Schreiben des Buches vielleicht auch eine Art therapeutischer Prozess? 

A.W.: „Ich würde sagen, ich habe nochmal bewusst die vergangenen Jahre durchlebt und erkannt, wie weit ich doch gekommen bin – trotz und mit Angst. Und dass ich froh bin, heute so offen darüber sprechen zu können.“

F.H.: Könntest du vielleicht in einfachen Worten (für diejenigen von uns, die noch nie mit klinischer Panik oder Angst zu tun hatten) erklären, was eine Angststörung von einer „normalen“ gesunden Angst unterscheidet? Und wie genau sie sich bei dir geäußert hat? 

A.W.: „Angst ist ein wichtiges und sehr starkes Gefühl. Jeder von uns empfindet immer mal wieder Angst. Genauso wie wir alle Liebe empfinden. Nur: Bei einer Angststörung übermannt einen das Gefühl der Angst. Man fürchtet sich vor Dingen, die rational gesehen keine Angst hervorrufen sollten und man vermeidet plötzlich im Alltag Dinge und Orte, um dem Gefühl der Angst aus dem Weg zu gehen. Sobald einen die Sorgen und Ängste im Alltag und Leben einschränken, man bestimmte Dinge nicht mehr tut und vermeidet und das Gefühl hat, sich schwer aus dem Worst-Case-Szenarien befreien zu können, kann man von einer Angststörung sprechen.

Ich habe eine Agoraphobie, ich bekomme beispielsweise Angst, wenn ich alleine verreisen soll oder in der U-Bahn im Tunnel stehe. 

F.H.: Seitdem du öffentlich gemacht hast, dass du unter einer Angststörung leidest und ein Buch darüber schreibst, gab es auch negative Stimmen? Vielleicht sogar Menschen, die dir von da an plötzlich anders begegnet sind?

A.W.: „Nein – ganz im Gegenteil. Ich habe nach dem Verkünden meines Buches so viele positive Rückmeldungen gekommen, ganz viel Liebe und Dankbarkeit, dass ich das Thema anspreche und mich offen dazu bekenne, unter Ängsten zu leiden. Ich habe so viele tolle Gespräche digital wie real geführt und das hat mir gezeigt, dass es absolut der richtige Weg war, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.“

F.H.: Der Weg dahin, öffentlich zu deiner Angst zu stehen, war aber lang – auch deinen Freunden gegenüber. Was genau hat dich zurückgehalten?

A.W.: „Als Teenager hatte ich immer Angst, als verrückt abgestempelt zu werden. Weil ich Angst vor Dingen hatte und habe, die für andere ja ganz normal sind. Später wollte ich mein eigenes Bild von mir nicht mit dem von mir mit der Angst zusammenbringen. Außerdem hatte ich die Sorge, dass man mir beruflich nichts mehr zutrauen würde oder Entscheidungen für mich fällen würde. Ganz nach dem Motto. „Den Auftrag bekommst du nicht.“ 
Aber am Ende ist es so: Ich kann die coole, toughe Journalistin sein und trotzdem auch an Anxiety leiden. Und ich weiß am besten, was ich mir zutrauen kann und was nicht. Wenn ich offen darüber rede, lernen auch andere Menschen den Umgang damit.

Das zu lernen hat gedauert – aber ich denke, es ist wichtig, anzuerkennen, dass sich Stärke und Schwäche nicht ausschließen.“

F.H.: Sich gegen seine eigene Angst zu wehren, klappt ja meist nur bedingt. Du hast deiner Angst sogar einen Namen gegeben: Katja. Wie präsent ist Katja heute in deinem Leben?

A.W.: „Vor zwei Jahren hat mich Katja nach einer heftigen Stressphase überrollt. Davor spielte sie kaum mehr eine Rolle, aber dann trat sie mit voller Wucht die Türe ein. Zwei Jahre später und viel Arbeit ist Katja zum Glück nicht mehr so präsent, aber es gibt immer noch Dinge wie U-Bahn-Fahren, die mir schwerfallen. Aber ich arbeite daran und hoffe, bald wieder genau so frei zu sein, wie ich es vor dem Zusammenbruch war.“

F.H.: Pressereisen, Parties etc.: Du hast in der Vergangenheit wegen deiner Angst vieles nicht machen oder wahrnehmen können. Hast du das Gefühl etwas verpasst zu haben und „trauerst“ den Möglichkeiten nach, die du nicht ergreifen konntest?

A.W.: „Ja und nein. Natürlich bin ich manchmal traurig, dass ich vielleicht die tolle Pressereise nach Paris nicht machen konnte – gleichzeitig bin ich niemand, der voller Trauer zurückblickt. Ich bin ein sehr optimistischer Mensch und die Dinge sind, wie sie sind. Ich lege meinen Fokus nicht auf die Dinge, die ich verpasse, sondern darauf, dass ich sie irgendwann auf jeden Fall machen kann. Also arbeite ich daran – und freue mich für all jene, die diese Erlebnisse jetzt haben und genießen können.“

F.H.: Mir persönlich ist es schon so oft passiert, dass ich im Gespräch mit Leuten von psychischen Problemen, Depressionen und Angststörungen erfahren habe, von denen man das auf den ersten Blick gar nicht vermuten würde und die auch viel dafür tun, diese Tatsache zu verheimlichen. Was genau meinst du ist der Grund, dass wir immer noch so ein großes Problem haben, öffentlich über unsere psychischen Probleme zu sprechen?

A.W.: „Ich glaube, wir alle leben in einer Leistungsgesellschaft, in der es schwerfällt, Schwächen zuzugeben. Vor allem jene Schwäche, denen immer noch etwas Merkwürdiges anhaftet oder die man nicht so sehen kann. Wie du sagst, den meisten Menschen sieht man ihre seelischen Leiden nicht an und ich kann auch verstehen, dass es für jemanden, der nie an Ängsten oder Panikattacken gelitten hat, super schwer ist, das nachzuvollziehen. Aber wir müssen anfangen, unsere mentale Gesundheit genauso wichtig zu nehmen wie die körperliche. Dazu gehört zu erkennen, dass Schwäche – auch in Form von seelischen Erkrankungen – kein Makel ist, sondern total menschlich. Niemand von uns ist 24/7 stark und niemand von uns ist davor gefeit, auch einmal in ein seelisches Tief zu rutschen. Indem wir offen reden, fühlen wir uns weniger allein und merken: Wow, es geht echt vielen Leuten so.“

F.H.: Stichwort „Corona-Krise“: Hat sich deine Angst in den letzten Wochen wieder verstärkt zu Wort gemeldet?

A.W.: „Nein – gar nicht!“

F.H.: Was würdest du deinem jüngeren Ich raten, wenn du ihm heute begegnen würdest?

A.W.: „Steh zu dir – mit all deinen Facetten und sprich offen über deine Angst. Und nur weil du eine Angststörung hast, heißt es nicht, dass sie dich ausmacht. Sie ist ein Teil von dir, aber da ist noch sehr viel mehr.“

F.H.: Eine Angststörung bekommt man ja nie so richtig los. Man muss lernen mit ihr zu leben – wie blickst du in die Zukunft? Ängstlich oder zuversichtlich?

A.W.: „Genau – man lernt mit ihr zu leben. Ich werde nie angstfrei sein, weil Angst eben ein Ur-Gefühl ist, was uns ja auch schützt und wichtig ist. Ich blicke voller Zuversicht und Optimismus in die Zukunft. Ich weiß, meine Angst meldet sich immer dann, wenn ich nicht genug auf mich aufpasse, wenn ich mal wieder im Stress versinke. Sobald Katja also anklopft, empfange ich sie, höre mir an, was sie mir zu sagen hat und schicke sie dann wieder davon. In der Hoffnung, dass ihre Besuche in den nächsten Jahren seltener werden.“

"Angstphase" von Antonia Wille

Antonias Buch „Angstphase“ ist im Piper Verlag erschienen und ab sofort hier erhältlich!

Bild im Header: @sophia.joan.short

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert