Mental Health: Im Gespräch mit Therapeutin Nina Skarabela über Ängste, Sorgen und Tipps in Zeiten der Krise
Ein Wochenende Heim-Quarantäne klingt ja noch entspannend, aber spätestens jetzt, in Woche zwei (oder in meinem Fall schon Woche 3), wird die soziale Isolation zur echten Herausforderung für viele von uns. Dazu kommen wirtschaftliche Zukunftsängste, ein allumfassender Kontrollverlust und die nagende Sorge um die Liebsten. Die derzeitige Lage bringt viele von uns an ihre emotionale Belastungsgrenze – die einen mehr, die anderen weniger. Aber wohin mit den Emotionen? Wie damit umgehen? Was wenn zu all dem auch noch Panikattacken, Traumata aus der Vergangenheit oder andere mentale Dispositionen kommen, die den Umgang mit der Krise zusätzlich erschweren?
Eine, die hier helfen möchte ist Nina Skarabela, die ihr vielleicht schon aus meinem Job Talk kennt. Nina ist Therapeutin und hat eine Aktion ins Leben gerufen, die ich nicht nur persönlich sehr bewundere, sondern auch auf diesem Weg so gut es geht unterstützen möchte. Sie bietet kostenlose telefonische Beratung für all diejenigen an, die in der derzeitigen Situation Hilfe brauchen. Dafür möchte ich mich hier nicht nur bildlich tief verbeugen, sondern ich möchte ihre Tipps, ihre Erfahrungen und ihre Gedanken mit Euch teilen – denn ich bin mir sicher, dass es auch einige unter euch gibt, die hadern, grübeln und sich sorgen.
Deswegen habe ich stellvertretend für Euch angerufen und versucht gemeinsam mit ihr einen Überblick über diese sehr emotionale Situation zu bekommen, zu erkennen, dass man mit seinen Gefühlen nicht alleine ist und Strategien und hilfreiche Tipps für alle von uns zu sammeln.
Frollein Herr: Liebe Nina, wieso und wann hast du dich entschieden, diese kostenlose telefonische Beratung für alle, die Hilfe benötigen, anzubieten?
N.S.: „Ich habe bereits zu einem recht frühen Zeitpunkt in dieser Krise auf diversen Plattformen wie Facebook & Co. immer öfter Artikel über überlastete Telefon-Hotlines, Ängste im Zuge der Corona-Situation und der Korrelation zwischen mental health und der Pandemie gelesen. Da dachte ich mir dann schnell „Wieso nicht sowas kostenlos anbieten, für Menschen, die gerade echt in Not sind?“. Da mein Mann in Berlin sitzt, habe ich am Wochenende oder am Abend gerade ohne Ende Zeit, die kann ich dafür super nutzen.
Dazu will ich aber gleich sagen, dass ich das nicht aus kompletter Selbstlosigkeit heraus tue, denn an Altruismus glaube ich nicht. Ich bekomme so viel Energie von allen Seiten zurück und zwar genau weil ich es kostenlos tue. Das ist für mich im Moment so viel mehr wert als eine monetäre Bezahlung.“
F.H.: Also gibt dir diese Aktion vielleicht auch ein wenig Kontrolle über die Situation zurück, die uns derzeit allen fehlt? Weil du etwas tun kannst?
N.S.: „Genau! Natürlich freue ich mich über jedes Danke, das ich bekomme und es macht mich sehr glücklich, dass ich mit dem, was ich tue, helfen kann – aber es bringt mir persönlich schlicht und einfach auch viel. Ich kann etwas Positives zu dieser schwierigen Situation beitragen. Dabei habe ich recht schnell gemerkt, dass sich die Probleme und Themen der Menschen, die mich anrufen, recht ähnlich sind und man Tools und Mechanismen anwenden kann, die vielen helfen können. Dazu muss man natürlich sagen, eine Stunde Beratung am Telefon oder die „Do-it-Yourself“ Tipps ersetzten natürlich keine Therapie. Aber sie können dazu beitragen, die momentane Situation einfach ein bißchen besser auszuhalten.“
F.H.: Eine Art Maßnahmenkatalog für Krisensituationen? Welche sind das?
N.S.: „Da wären z.B. Glaubenssätze. Das ist ein ganz grundlegender Mechanismus in der Psychotherapie. Ängste & Co. stützen sich nämlich immer auf einen negativen Glaubenssatz. Ein Beispiel: Meine Klienten ist Risikopatientin und hat Angst davor zu sterben. Das geht soweit, dass sie sich vor ihrem inneren Auge bereits auf einem Krankenhausflur liegen sieht, um Hilfe ruft und niemand hört sie. Ihre Angst ist also: Ich werde sterben. Und das ist gleichzeitig auch ihr Glaubenssatz. Obwohl sie rational weiß, dass diese Angst höchstwahrscheinlich nicht eintreten wird, begleitet sie dieses Bild und schürt ihre Angst. Der hilfreiche Mechanismus besteht darin, in den negativen Glaubenssatz umzudrehen. Statt „Ich werde sterben“, heißt er nun „Ich werde überleben“. Aber: Das reicht noch nicht. Denn die Angst hat Wurzeln und der müssen wir etwas mehr entgegensetzen. Und zwar brauchen wir dann gute Gründe, die den positiven Glaubenssatz stärken, wir brauchen das Warum. Warum werde ich überleben? Im Fall meiner Klientin kamen wir dann gemeinsam darauf, dass sie fest daran glaubt, auf dieser Erde noch etwas erledigen zu müssen. Also hieß der positive Glaubenssatz dann „Ich werde überleben, weil ich auf dieser Erde noch etwas zu erledigen habe“. Und dieser neue Glaubenssatz hat ihr geholfen, die Angst kleiner werden zu lassen.“
F.H.: Also geht es im Fall der Glaubenssätze nicht darum, der Angst mit Logik und Verstand zu begegnen, sondern emotional gegenzusteuern?
N.S.: „Richtig. Angst ist nicht logisch und deshalb ziehen Argumente wie „Ich werde überleben, weil wir so ein tolles Gesundheitssystem haben“ nicht. Jetzt, in der Krise, kommen alte Muster, Traumata oder Panikattacken wieder hoch. Ein weiteres Beispiel: Eine Klientin war z.B. sehr lange arbeitslos und litt in dieser Zeit unter Panikattacken. Jetzt, wo sie wieder so viel Zeit zuhause verbringt, kommen die alte Gefühle und auch die Panik wieder hoch. Obwohl sie weiß, dass sie jetzt in einer ganz anderen Situation ist, ist sie ihren Emotionen ausgeliefert. Ihr negativer Glaubenssatz ist also „Alles ist wie früher. Ich komme da nicht mehr raus“. Diesen haben wir umgekehrt und in „Ich bin viel stärker als damals.“ verwandelt.
Und noch ein Beispiel: Eine andere Klientin war Opfer von häuslicher Gewalt und hat seit der Isolation erneut das Gefühl des Eingesperrtseins, das sie eigentlich bereits hinter sich gelassen hat. Ihr negativer Glaubenssatz: „Ich sitze in der Falle!“ Das Gegenteil, das wir gemeinsam erarbeitet habe: „Ich bin frei. Ich alleine kann über meinen Körper und meinen Geist bestimmen.“ Es ist also unheimlich wichtig und hilfreich, den Ängsten, die im negativen Glaubenssatz begründet liegen, das genaue Gegenteil entgegenzusetzen. Dafür muss man sich die positiven Glaubenssätze mehrfach am Tag vorsagen und bestenfalls so verinnerlichen, dass sie stärker werden, als die negative Alternative.“
F.H.: Und wie kann jeder von uns seinen eigenen negativen Glaubenssatz finden – beziehungsweise ih umkehren?
N.S.: „Im Grunde muss man sich einfach fragen „Wovor habe ich Angst?“. Was denke ich denn genau, das passieren wird? Was bereitet mir am meisten Sorge? Dann kommt man der Sache auf den Grund. Selbst wenn man zu Beginn denkt, dass die Angst eher unspezifisch ist und von „Ich werde meinen Job verlieren“ bis „Ich werde in Einsamkeit in meiner Wohnung versauern“ reicht – alles lässt sich umdrehen. Wichtig ist hier in sich hinein zu hören, sich zuzuhören und mit der Angst in Kontakt zu treten. Anschließend kann man die Ängste dann aufschreiben und das Gegenteil formulieren. Wichtig ist, dass der positive Glaubenssatz aktiv ist und nicht passiv. Sprich: Nicht „Ich werde nicht sterben.“, sondern „Ich werde überleben!“
F.H.: Was ich jetzt so aus deinen Beispielen heraushöre, ist, dass das Thema Kontrollverlust bei dieser Thematik eine große Rolle spielt. Die Angst vor dem Ungewissen.
N.S.: „Absolut. Angst kommt immer dann auf, wenn wir unsicher sind. Wenn wir nicht kontrollieren können, was passieren wird. Wenn die Zukunft unklar ist.
F.H.: Gerade diese Ohnmacht belastet einige von uns sicher sehr. Wir können nicht beeinflussen was passiert, können uns nicht besonders anstrengen, dass es schnell besser wird. Wir können bloß zuhause bleiben. Ich denke, dass das gerade in unserer heutigen Gesellschaft, in der wir so aufs Performen und Machen getrieben sind, sehr schwer fällt .Was meinst du?
N.S.: „Total. Und deshalb ist es auch so wichtig für sich selbst die „gefühlte“ Kontrolle wiederzuerlangen. Vom Passiv wieder ins Aktiv, rein in die Eigenverantwortlichkeit. Wie genau das dann jeder für sich umsetzen kann, ist wahnsinnig individuell, aber hier spielt auch Vertrauen eine sehr große Rolle. Es kann helfen, sich zu überlegen wann es im eigenen Leben schon mal Situationen gab, in denen man sich schon mal hilflos gefühlt hat. Z.B. der erste Liebeskummer, bei dem man dachte nie nie wieder einen Mann zu finden und den man dann vielleicht doch gefunden hat. Oder der erste Job, bei dem man Angst hatte, dass der Chef rausfinden könnte, dass man eigentlich gar nichts kann und den man dann doch gemeistert hat. Jeder von uns hat schon mal in einer Situation gesteckt, die man jetzt zur Bekräftigung des Vertrauens heranziehen kann.“
F.H.: Das sogenannte Urvertrauen?
N.S.: „Ja genau. Dabei geht es auch um die sogenannte „Anteilsarbeit“. Derzeit hat vielleicht die Angst in uns den größten Anteil, aber auch das ist Schutz. Die Angst kommt nicht einfach aus purer Bosheit, um uns zu ärgern, sondern sie will uns beschützen. Manchmal bedient sie sich dabei vielleicht mancher Strategien, die wir als nicht sonderlich angenehm empfinden, aber sie hat eine Daseinsberechtigung. Sie ist zwar nicht schön, aber effektiv. Jetzt müssen wir überlegen, welchen Partner wir der Angst an die Seite stellen können. Welche Anteile gibt es noch? Setzt man der Angst z.B. Vernunft, Vertrauen und Vorsicht zur Seite, werden die Anteile aufgeteilt und der der Angst wird kleiner.“
F.H.: Also bauen wir uns sozusagen ein kleines Superhelden-Team auf? Unsere Verbündeten?
N.S.: „Das kann man so sagen, ja. Wenn wir uns hier ein Team vorstellen, dann war die Angst vielleicht bisher der Teamchef und hat alles bestimmt. Jetzt aber, wo wir ihr weitere Teammitglieder an die Seite stellen, kann sie kleiner werden. Wichtig ist aber, sich immer bei der Angst und all den anderen Anteilen zu bedanken. Schlussendlich wollen sie alle nur das Beste für uns. Auch wenn es auf den ersten Blick manchmal nicht so aussieht.“
F.H.: Was würdest du aufgrund deiner Erfahrung mit deinen Klienten sagen: Welche Angst ist momentan die größte? Die gesundheitliche, die wirtschaftliche oder die soziale?
N.S.: „Es gibt sehr viele, die sozial unter der Situation leiden, weil sie z.B. Single sind uns sich einsam fühlen. Aber die größte Angst ist eigentlich in den meisten Fällen die Angst um die eigene Gesundheit (besonders bei Vorerkrankungen) und um die der Liebsten. Natürlich treibt auch die wirtschaftliche Angst die Leute um, aber in meiner bisherigen Erfahrung steht sie nicht an erster Stelle.
Besonders und neu an der derzeitigen Krise ist ja auch, dass viele von uns zum ersten Mal in einer Krise stecken, die sie alleine bewältigen müssen, weil alle anderen das gleiche Problem haben. Da gibt es vielleicht noch keine Strategien, um das zu lösen.“
F.H.: Ist die Verdrängung an dieser Stelle vielleicht auch ein Mittel, auf das viele zurückgreifen um sich selbst zu schützen? Anders kann ich mir die Unvernunft, die man zum Glück inzwischen nicht mehr so häufig sieht, nämlich nicht erklären.
N.S.: „Wieso die Leute so reagieren, wie sie reagieren und wieso das so unterschiedlich ist, da müsstest du wahrscheinlich eher einen Soziologen und keine Therapeutin fragen. Eine Frage, die sich beim Beobachten der Nachrichten ja auch stellt, ist: Wieso kaufen die Leute so viel Klopapier???“
F.H.: A propos Nachrichten: Was würdest du jemandem raten, der unter der derzeitigen Situation besonders leidet. Nachrichten schauen: Ja oder Nein?
N.S.: „Sagen wir mal so: Gut recherchierte und verlässliche Berichterstattung ja, aber vielleicht nur einmal täglich. Wovon man aber Abstand nehmen sollte, sind die unzähligen Meinungen und nicht belegten Videos, Texte & Co., die derzeit in Massen im Netz kursieren. Das sorgt nur für Verwirrung, weil jeder was anderes erzählt und die Angst teilweise bewusst geschürt wird.“
F.H.: Sehe ich ganz genauso. Ich z.B. könnte regelmäßig ausflippen, wenn ich auf – naja sagen wir mal eher „zweifelhaften“ – Portalen hetzerische Headlines lese, die in dieser Krise Urängste von Menschen schüren und damit Klicks generieren wollen.
N.S.: „Das Fatale ist in diesem Fall einfach, dass wir Menschen einfach Herdentiere sind und uns vom Verhalten der anderen beeinflussen lassen. Vielleicht liegt hier auch die Antwort zum Thema Klopapier. Wer will schon der einzige sein, der keines hat? Deshalb sollte bestimmte Berichte wirklich mit Vorsicht genossen werden.“
N.S.: „Ja, das ist ein super praktischer Tipp. Klar, die Leute die jetzt mit drei Kindern zuhause sitzen und nebenher noch Home Office machen, denen wird es wohl eher wenig langweilig sein – aber für alle anderen, die nach Beschäftigung suchen, ist das ein super Tipp. Wichtig ist aber, die Zeit mit etwas Sinnvollem zu füllen, sodass man nicht das Gefühl hat, die Zeit wäre verschenkt. Sprich: Schwedisch zu lernen, obwohl kein Schwedenurlaub in nächster Zeit ansteht, ist jetzt wenig ratsam. Aber etwas zu finden, das nicht nur reine Beschäftigungstherapie ist, sondern einen echten Mehrwert für einen selbst und/oder bietet, hilft ungemein.“
F.H.: Dazu muss ich aber sagen, dass ich mich persönlich manchmal recht schwer damit tue, diese schwere Zeit produktiv zu nutzen, weil ich mich doch durchaus belastet fühle. Gibt es nicht auch Situationen oder Gefühlslagen, in denen es auch völlig in Ordnung ist, nicht produktiv zu sein? Also sich zu sortieren, zu fühlen, zu denken? Wenn man sich bei Instagram so umsieht, könnte man meinen, dass alle gerade zu Höchstformen auflaufen – Bananbrote werden im Akkord gebacken, der Bikini-Body gestählt, Bilder gemalt. Was wenn ich das gerade nicht kann?
N.S.: „Super wichtiger Punkt. Da muss man ganz klar zwei Typen unterscheiden. Es gibt eimal die, denen die Decke auf den Kopf fällt und die die Beschäftigung dringend brauchen und dann gibt es die, die sich mit dem zusätzlichen Druck der Situation gerade noch mehr auflasten. Man kann diese Zeit auch als Ruhe begreifen, wieder zu sich finden und sich eine Pause gönnen. Das ist völlig legitim. Entschleunigung ist hier das Stichwort. Was wir jetzt wohl alle lernen müssen, ist uns mit uns selber zu beschäftigen. Uns selber kennenzulernen und unsere Ängste und Bedürfnisse zu kennen. Das ist für die meisten gerade natürlich total unfreiwillig.“
F.H.: Eine Frage aus eigenem Interesse: Was kannst du denn Paaren in dieser Situation raten, die derzeit 24/7 aufeinanderhocken? Wird es wohl mehr Corona-Babies oder Corona-Scheidungen geben?
N.S.: „Das ist natürlich eine RIESEN Herausforderung. Sowohl für jeden einzelnen, als auch für jede Beziehung. Viele Dinge relativieren sich gerade aber und es eine gute Zeit, sich bei Streits auch mal die Frage zu stellen, ob es zum jetzigen Zeitpunkt echt so wichtig ist, dem Partner vor die Nase zu halten, dass er den Müll ewig schon wieder nicht rausgebracht hat. Gleichzeitig ist es auch total wichtig auf seine eigenen Bedürfnisse zu hören und diese auch zu kommunizieren. Sprich: Keine Angst haben, dem Partner einfach mal ehrlich zu sagen „Ich gehe jetzt alleine ne Runde um den Block, weil mir danach ist.“.
Gerade ist die Chance und Notwendigkeit sehr hoch in sich selbst reinzuhören und verstehen zu lernen, was die eigenen Bedürfnisse brauchen. Wieso bin ich gestresst? Wieso ärgert mich das jetzt? Früher hat man sich an dem Punkt vielleicht schnell abgelenkt – aber jetzt muss man sich wohl oder übel damit auseinandersetzen. Jeder ist auf sich selbst zurückgeworfen und das kann auch sehr überfordernd sein. Mein Rat wäre deshalb: Begegnet Euch selbst und auch anderen in dieser Situation liebevoll. Bringt Geduld auf, seid nachsichtig. Nur so kann man es durch die Krise schaffen. Und das gilt eben für einen selbst, aber auch für die Mitmenschen.“
F.H.: Was für ein schönes Schlusswort! Danke liebe Nina für deine Zeit und die hilfreichen Tipps!
Danke an Kera Till für die Illustration im Header!
Toll! ???
Danke dir 🙂
Super❣️❣️❣️
<3