Wieso ich gerne eine Tussi bin

Tussi, Mehrzahl Tussis oder Tussen.

Substantiv, feminin.

Wortherkunft: Tusnelda.

Bedeutung: eine attraktive, modebewusste, oberflächliche Frau.

Dieses Ergebnis erhält man, wenn man das Wort Tussi im Wörterbuch nachschlägt. Interessant, oder? Besonders spannend finde ich dabei die Verbindung von modebewusst und oberflächlich. Denn genau so ist es doch: Interessiert sich eine Frau eingehend für Mode, Beauty oder ihr eigenes Aussehen, ist sie in den Augen vieler automatisch eine Tussi. So wie ich. Denn diese so leicht dahin gesagte und trotzdem sehr abfällige Bezeichnung begleitet mich schon mein ganzes Leben.

Angefangen hat es im Grundschulalter, als ich bei Woolworth einen Schminkkoffer entdeckte und ihn mir heimlich von meinem Taschengeld kaufte.

Angefangen hat es im Grundschulalter, als ich bei Woolworth einen Schminkkoffer entdeckte und ihn mir heimlich von meinem Taschengeld kaufte. Ich musste ihn zuhause vor meinen Eltern verstecken, weil bei uns die Regel galt: Geschminkt werden darf sich erst mit 13. Wieso das so war? Keine Ahnung. Ich vermute aber, da ich eine große Schwester habe, die sich ab 13 geschminkt hat, sollte das selbe auch für mich gelten. Der Schminkkoffer voller knallbunter, billiger Lidschatten, Lipglosse und Rougenuancen, übte eine magische Anziehungskraft auf mich aus und war seit diesem Tag mein kleiner, persönlicher Schatz. Ausprobieren konnte ich ihn allerdings nur still und heimlich in meinem Kinderzimmer und musste die bunten Farben schnell wieder runterwaschen, sobald es Abendbrot gab. Aber schon damals wusste ich: Wenn ich mal groß bin, dann trag ich ganz viel von diesen großartigen Farben. Und zwar mit Stolz.

So kam es dann auch. Ich war endlich 13 und ich durfte ganz offiziell ran an die Farbtöpfe.

So kam es dann auch. Ich war endlich 13 und ich durfte ganz offiziell ran an die Farbtöpfe. Im Gegensatz zu vielen meiner Freundinnen, die sich in diesem Alter statt für Mascara, Kajal & Co. eher für die neuste Ausgabe der Wendy interessierten, blätterte ich nach der Schule in den Modemagazinen meiner Mutter. Und hatte in meiner Klasse, dank meiner ungeübten Schminkexperimente, ganz schnell den Ruf der Tussi weg. Das war nicht unbedingt abwertend von meinen Mitschülern gemeint (obwohl wir ja alle wissen wie gemein Kinder sein können), aber es steckte mich schon in frühster Jugend in eine Schublade, aus der ich fortan irgendwie nicht mehr rauszukommen schien. In der Pubertät folgten dann diverse Phasen, in denen ich versuchte mich selbst zu finden, kennenzulernen und zu definieren – aber die Tussi blieb irgendwie haften. Und irgendwann gab ich den Kampf dagegen auf. Dann war es halt so. Bin ich halt eine Tussi. Wenn es sowieso schon alle dachten, dann konnte ich es ja auch so richtig krachen lassen, oder? Also versteckte ich meine Leidenschaft für Mode und Make-up nicht mehr und wurde zur Definition einer Tussi: Mit blondierten Haaren, viel zu schwarz geschminkten Augen und einem exzessiven morgendlichen Schönheitsritual, das mich dazu zwang, täglich um 5 Uhr aufzustehen.

Mit blondierten Haaren, viel zu schwarz geschminkten Augen und einem exzessiven morgendlichen Schönheitsritual, das mich dazu zwang, täglich um 5 Uhr aufzustehen.

Mit ungefähr 15 Jahren hatte ich mich dieser vordefinierten Rolle einfach ergeben, sie akzeptiert und aufgehört gegen die Windmühlen zu kämpfen, die solche Klischees nun mal sind. Selbst meine Lehrer schienen sich ihr Urteil über mich ungefähr so differenziert zu bilden, wie meine minderjährigen Mitschüler. Sprüche wie: „Karoline, das Geld, das deine Eltern in Nachhilfe investieren, wäre doch besser in Ohrringen angelegt.“ oder „Mir ist schon bewusst, dass das über deinen rosa Horizont hinausgeht.“, gehörten da zur Tagesordnung. Und soll ich Euch was sagen? Obwohl ich nach außen hin völlig in meiner Rolle aufzugehen schien, verletzten mich diese Aussagen ungemein. Sie nahmen mir die Freiheit mich zu entwicklen und statt in der Schublade „Tussi“ vielleicht doch in die Schublade „Intelligent“, „Sportskanone“ oder „Klassenclown“ zu wechseln. Nicht, dass ich das unbedingt gewollt hätte, aber es wäre doch wenigstens schön gewesen zu wissen, dass es möglich gewesen wäre. Rückblickend nehme ich das vielen Leuten aus meinem damaligen Umfeld sehr übel. Aber heute weiß ich: Ich passe in keine Schublade. Und wenn Tussi-Sein heißt, sich für Mode und Beauty zu interessieren, dann bin ich gerne eine Tussi.

Und wenn Tussi-Sein heißt, sich für Mode und Beauty zu interessieren, dann bin ich gerne eine Tussi.

Zu dieser Erkenntnis gelangte ich aber erst nach meiner Volljährigkeit. Ich ging zum Studieren weg aus Berlin und plötzlich war alles ganz anders. In meinem Literaturstudium gehörte ich auf einmal zu den Besten und bekam nur noch Spitzennoten. Und als dann auch noch meine Kommilitonen begannen mich um Rat bei der ein oder anderen Aufgabe zu fragen, begann ich es zu realisieren: „Hey, ich bin gar nicht so doof und oberflächlich, wie mir immer alle eingeredet haben. Ich kann ja was!“

„Hey, ich bin gar nicht so doof und oberflächlich, wie mir immer alle eingeredet haben. Ich kann ja was!“

Bäm. Der Bann war gebrochen. Ich war plötzlich eine junge Frau, die sich nicht nur für Gucci, sondern auch für Goethe interessieren durfte, ohne dass es irgendwen zu wundern schien. Dieser Ego-Push war ausschlaggebend für meinen weiteren beruflichen Lebensweg. Denn dadurch fand ich den Mut dazu die Mode freiwillig als Karriere zu wählen und nicht mehr nur als einzigen Ausweg zu akzeptieren.

Als ich dann mein Praktikum bei der ELLE anfing, merkte ich, wie viele tolle, intelligente Frauen genauso waren wie ich. Die sich auch stundenlang über die neuste Kollektion von Designer XY oder die Vor- und Nachteile von Primern unterhalten konnten. Und die waren schließlich auch nicht doof. Das Klischee, dass alle Frauen, die sich für Mode interessieren oder in der Mode arbeiten, doof  und oberflächlich seien und sich sonst für nichts anderes interessierten, war also widerlegt. Und ich kam zu einem der wichtigsten Learnings meines Lebens: Deppen gibt es überall. Selbst in Anwaltskanzleien, Arztpraxen oder Lehrerzimmern.

Deppen gibt es überall. Selbst in Anwaltskanzleien, Arztpraxen oder Lehrerzimmern.

Heute mit fast 30 kann ich sagen, dass ich sehr gerne eine Tussi bin. Ich liebe Mode, Beauty und Design jeder Art. Und ja: Ich beschäftige mich gerne mit mir und meinem Aussehen. In dieser ach so oberflächlichen Branche habe ich mitunter die besten Menschen kennengelernt, die anderen meist mit weniger Vorurteilen begegnet sind, als ich es bis dahin erlebt hatte.

Und trotzdem macht es mich, während ich diesen Text schreibe, immer noch ein wenig böse, wie wenig Unterstützung ich seitens meiner Lehrer oder Personen mit Bildungsauftrag zu einer Zeit erfahren habe, die so prägend für die Persönlichkeit war. Selbst für erwachsene Menschen schien es leichter zu sein, in mir nur die Tussi zu sehen, statt meine Stärken und Talente zu erkennen. Das ist wahnsinnig schade und ich bin verdammt froh, dass ich das irgendwie alleine rausgefunden habe. Aber ich kann mir vorstellen, dass es da draußen viele junge Mädchen oder sogar erwachsene Frauen gibt, die es irgendwie aus der Schublade nicht rausschaffen. Und deshalb finde ich, ist es höchste Zeit, dass wir uns mal an die eigene Nase fassen und versuchen sollten, uns gegenseitig, vor allem unter Frauen, nicht ständig mit solch limitierenden Vorurteilen zu begegnen.

Denn auch wenn selbst der Duden „modebewusst“ direkt mit „oberflächlich“ verbindet, habe ich gelernt: Selbst die schlausten Leute liegen manchmal komplett daneben.

  

6 Antworten zu “Wieso ich gerne eine Tussi bin”

  1. Vielen, vielen Dank für diesen Post!!!
    Ich bin beim Lesen selber etwas emotional erworben, weil ich ähnliches erlebt habe. Man wird so schnell in Schubladen gesteckt…
    Ich war als Kind schon sehr fleißig und gut in der Schule, vorallem in den Naturwissenschaften, ich hab immer schon den Stempel der Fleißigen, Bracen, Intelligenten aufgedrückt bekommen, was auf den ersten Blick kein schlechter „Stempel“ ist, aber sobald ich ein wenig abgewichen bin, wurde mir von allen Seiten Druck gemacht. Meine Freude an Fotografie, Mode und Interiordesign musste ich damals regelrecht geheimhalten, weil es eben nicht „zu dem Rest gepasst hat“. Als meine Ma mich einmal mit einem Modemagazin „erwischt“ hat, musste ich mir anhören, dass es dumm und oberflächlich ist, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Es war mir unangenehm zuzugeben, was für eine Freude ich daran hatte zu fotografieren, mich mit Stoffen auseinandersetzen oder meine Freundinnen beim Shoppen zu beraten.
    Ich finde es sehr gut und sehr wichtig, dass du vielleicht der ein oder anderen jungen Frau da draußen zeigst, dass man sehr wohl breitflächig interessiert sein kann und dass man seinen Vorlieben folgen sollte 🙂

    • Liebe Alina,
      vielen, vielen Dank für deinen Kommentar! Ich bin so froh zu wissen, dass ich damit nicht alleine bin und fand es super wichtig, das auch mal laut auszusprechen (oder zu schreiben). Als Kind oder Jugendliche ist man so vielen Einflüssen ausgesetzt und lässt sich schnell von anderer Leute Meinung beeinflussen und deshalb finde ich es sooo wichtig, dass Elter, Lehrer & Co. da unterstützend einwirken und es genug Raum zur kompletten Entfaltung gibt.
      Ich wünsche dir einen tollen Sonntag!

      Allerliebst,
      Karo

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert