Stop the Mindfuck! Wenn die Gedanken endlos kreisen…
Ich denke wahnsinnig gerne nach. Okay – natürlich ist es eine Grundvorraussetzung des selbstständigen Lebens, ab und an mal nachzudenken – aber was ich meine, ist das Sinnieren, Reflektieren, Abstrahieren und manchmal sogar das regelrechte Verlieren in den eigenen Gedanken. Das ist der Motor für meine Kreativität, lässt mich Situationen im Nachhinein besser verstehen und mit vielem Frieden machen, das mich beschäftigt.
Aber: Denken ist nicht gleich Denken und Grübeln nicht gleich Grübeln.
Ihr kennt es sicher alle: Man ahnt nix Böses und plötzlich springt es an – und will einfach nicht mehr zum stehen kommen – Das Gedankenkarussel. Es kann eine Entscheidung sein, die man getroffen oder eben nicht getroffen hat, die beiläufige Bemerkung einer Kollegin, von der man sich nicht sicher ist, wie sie gemeint war oder ganz allgemeine Umstände des Lebens, die einen umtreiben. Man denkt und denkt, analysiert, interpretiert und malt sich alle möglichen Szenarien aus. Anders als sonst aber, kommt man mit seinem Denkprozess nicht zum Schluss, zu keinem Ergebnis und quält sich stattdessen mit negativen Gedanken, in dem Irrglauben, irgendwann alles bedacht, alle Eventualitäten einberechnet zu haben, auf alle Szenarien vorbereitet zu sein. Das allerdings ist Bullshit!
Steckt man nämlich erstmal im Gedankenkarussell fest, ist es sagenhaft schwer wieder herauszukommen.
Denn auch wenn es aktuelle lebensnahe Auslöser für das Grübeln gibt, sind es doch meist sehr abstrakte Konflikte, die uns fest im Griff haben. Das können Selbstzweifel, Minderwertigkeitsgefühle oder grundlegende Ängste sein. Diese halten uns so fest im Griff, dass wir es nicht bewusst schaffen aus der Gedankenspirale auszubrechen. Und so manipulieren wir uns selbst, quälen uns und kommen nicht zum Punkt. Mindfuck heißt hier das Stichwort! Wir stehen uns selbst im Weg, hängen Gedanken nach, die nicht dazu da sind uns weiterzuhelfen, uns zu bereichern oder voranzubringen, sondern machen uns unbewusst unglücklich, behindern unsere Kreativität und legen uns bisweilen regelrecht lahm. Das kenne auch ich nur allzu gut und finde mich besonders in letzter Zeit immer in einer solchen Gedankenspirale wieder.
Wieso zur Hölle machen wir das also? Da ich auf diese Frage beim besten Willen keine zufriedenstellende Antwort parat habe, muss mal wieder ein Profi ran. Ich habe mit Juliette Boisson, die als Heilpraktikerin für Psychotherapie, Coach & Beraterin in München arbeitet, über den Mindfuck, Selbstkritik und SOS-Strategien gesprochen.
Stop the Mindfuck: Das sagt die Expertin
Frollein Herr: Wieso kreisen unsere Gedanken eigentlich so gerne um negative Themen? Das ist ja nun nicht unbedingt gesund für uns oder?
Juliette Boisson: „Sagen wir es so: Es war mal gesund. Als wir Menschen noch in Höhlen gelebt haben war das Leben gefährlich. Ein Säbelzahntiger konnte um die Ecke kommen, oder eine giftige Pflanze verspeist werden. Um zu überleben mussten unsere Vorfahren also immer in einer extreme Habachtstellung leben – die sicherte das Überleben. Unser Gehirn ist heute immer noch darauf programmiert, den negativen Dingen Vorrang zu geben.“
F.H.: Und was treibt diesen negativen Gedankenmotor an? Kann man das verallgemeinern oder ist das eher individuell und vielleicht sogar abhängig von der mentalen Tagesform?
J.B.: „Natürlich gibt Menschen die sind eher pessimistisch, andere eher optimistisch veranlagt. Das muss aber nicht immer so bleiben: Optimismus und eine Lebensbejahende Einstellung lassen sich erlernen!
Negative Gedanken sind aber auch Tagesform abhängig. Manchmal stehen wir einfach mit dem falschen Fuß auf… Es gibt Tage an denen wir es leicht nehmen 20 Minuten nach einen Parkplatz zu suchen, an anderen verdirbt uns das komplett die Laune.“
F.H.: Grübeln und negativen Gedanken nachzuhängen, hat ja oft (oder meist) mit Selbstkritik zu tun. Wieso sind wir so kritisch mit uns selbst und hat diese Selbstreflektion vielleicht auch etwas Gutes?
J.B.: „Wo kein Schatten ist, kann auch kein Licht einfallen. Um Schönes erleben zu können, muss es auf der anderen Seite auch schwierige Gefühle geben können – das eine kann ohne das andere nicht existieren. Damit müssen wir uns als Menschen abfinden.
Wir können uns nicht immer nur gut fühlen.
Viel wichtiger ist es Maß zu halten. Wer sich ständig kritisiert, nur schwarz sieht und aus jeder Mücke einen Elefanten macht, erhöht das Risiko an Depressionen zu erkranken maßgeblich. Sich selbst auch mal kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren birgt aber auch enormes Potenzial: Es unterstützt uns, sich (weiter) zu entwickeln, treibt uns an, fordert uns heraus, die bekannte Comfort Zone auch einmal zu verlassen.“
F.H.: Oft sind die Gedankenspiralen, die uns so beschäftigen, ja nicht unbedingt in der Realität verhaftet, sondern wir malen uns Szenarien und Optionen aus, die im worst case enden. Möchten wir uns mit diesem profilaktischen „auf das Schlimmste vorbereiten“ vielleicht sogar schützen?
J.B.: „Ja, das ist auch ein Schutz. Wir fühlen quasi schon vorab, was so ein worst case ausmachen könnte. Wichtig ist, darin nicht hängenzubleiben.“
F.H.: Was passiert beim ständigen Grübeln eigentlich in unserem Körper? Kann diese psychische Situation auch körperliche Symptome auslösen?
J.B.: „Grübeln nimmt dem Körper viel Energie! Das kann körperliche Symptome wie Müdigkeit, verminderter Antrieb, Spannungskopfschmerzen, Herzrasen oder ein flaues Gefühl im Magen auslösen.“
F.H.: Wo ist der Punkt erreicht, an dem das Grübeln und die kreisenden Gedanken vielleicht nicht mehr „normal“ und „harmlos“ sind, sondern viel grundlegendere Problematiken (bspw. eine Depression) vorliegen?
J.B.: „Es gibt einen Unterschied zwischen Reflexion und Grübeln. Wenn Sie über etwas nachdenken oder reflektieren, geht es darum eine Lösung zu finden. Zu grübeln bedeutet meist aber an negativen Gedanken zu verhaften, die mit dem Verstand nicht zu lösen sind. Grübeleien führen niemals zu Lösungen! Genau deshalb sind Sie ja so quälend. Ständige negative Grübeleien sind auch eines der Hauptsymptome für Depressive Verstimmungen und damit nicht mehr harmlos!“
F.H.: Und nun die wichtigste Frage: Was kann ich dagegen tun? Gibt es vielleicht eine Notfallmethode, mit der ich mich aus dem Karussell befreien kann?
J.B.: „Lenken Sie sich ab! Tun Sie etwas das Ihre volle Konzentration verlangt, etwas in dem Sie sich verlieren können. Alternativ tun Sie etwas dass Ihnen Freude bereitet. Rufen Sie einen guten Freund an, der Sie auf andere Gedanken bringt und die Grübeleien unterbricht. Auch Sport hilft den Kopf frei zu bekommen. Wenn Sie allerdings nur noch negativ denken und in Gedankenschleifen gefangen sind, keine Lebensfreude mehr verspüren, verzweifelt und hoffnungslos sind und sich minderwertig fühlen, holen Sie sich schnell professionelle Hilfe!“
Mein Fazit
Aus evolutionärer Sicht ist unser Worst-Case-Denken also irgendwie verständlich – das macht es allerdings nicht weniger hinderlich. Statt das Beste aus uns herauszuholen, uns selbst zu motivieren und zu bestärken, finden wir uns auf dem Gedankenkarussell meist eher klein und verletzlich wieder. Wir drehen uns um uns selbst, malen uns Horrorszenarien aus und hindern uns so daran, tatsächlich etwas zu lösen.
Für mich persönlich hat der Rat der Therapeutin in der Vergangenheit immer schon funktioniert. Wenn ich mal wirklich weder ein, noch aus weiß, mich gedanklich im Kreis drehe und es vielleicht sogar so weit geht, dass ich mich in Selbstzweifeln und Ängsten verliere, versuche ich dem aktiv entgegenzuwirken. Dann beschäftige ich mich mit etwas, das mir gut tut, mir Spaß bereitet und meine Gedanken beansprucht. Oder ich suche mir Hilfe von außen, schildere meine Ängste und die Horrorszenarien à la „Und was ist, wenn DAS passiert?“ und lasse mir von Freunden oder Familie den Kopf gerade rücken.
Wenn wir nämlich gedanklich so weit von der Realität entfernt sind, dass wir uns selbst nicht wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen können, kann das Machtwort eines geliebten Menschen Wunder bewirken und plötzlich hält das Karussell an.
Wichtiger noch, als das Ausbrechen aus der Gedankenspirale aber, ist die Erkenntnis, was uns erst dahin gebracht hat. Gibt es Muster oder klare Auslöser für die Grübeleien? Und wie könnte man die am besten umgehen? Ich habe in den letzten Jahren viel über Situationen gelernt, die mir schlicht und einfach nicht gut tun und die ich genau deshalb bestmöglich meide. Aber das ist erstens nicht immer so einfach möglich und zweitens nicht unbedingt leicht zu erkennen. Trotzdem ist es in meinen Augen unfassbar wichtig (wenn auch schwierig), das Karussell als solches zu erkennen und zu verstehen, dass wir uns manchmal selbst ein Bein stellen – und all das Schlechte dieser Welt es gar nicht auf uns persönlich abgesehen hat. Manchmal ist es schlicht und einfach nur der Mindfuck.