Zur Hölle mit dem coulda, shoulda, woulda : Wieso wir lernen sollten, unsere eigenen Regeln zu machen!

In einer glücklichen und funktionierenden Beziehung hat man mindestens zwei Mal die Woche Sex, als Frau ab 30 sollte man unbedingt einen Plan zum Thema Kinderkriegen parat haben und karrieretechnisch geht es im besten Fall immer nur straight geradeaus.

Ob nun Liebe, Freundschaft oder Job: Für eigentlich alle Bereiche unseres Lebens scheint es gewisse Regeln und Normen zu geben, die der Großteil von uns als Referenzpunkt versteht. Die als „normal“ gelten. Werden wir diesen Regeln, aus welchen Gründen auch immer, nicht gerecht, empfinden wir das oft als Versagen, als Abweichung von der Norm und somit als falsch. Erst neulich saß ich mit einer Freundin am Küchentisch, die gerade durch eine schwierige Lebensphase geht, alles anzweifelt, sich unzureichend fühlt und nicht mehr weiß, woran sie sich orientieren soll. Und da fiel mir, wie so oft, ein Zitat von Carrie Bradshaw ein, das ich in all den Jahren nicht vergessen konnte:

„As we drive along this road called life, occasionally a gal will find herself a little a lost. And when that happens, I guess she has to let go of the couldashoulda, woulda, buckle up and just keep going!“

Denn sobald unser Leben, unsere Entscheidungen und manchmal nicht zu beeinflußende Umstände, uns in die Situation bringen, unseren Weg und uns selbst zu hinterfragen, neu auszurichten und gegebenenfalls den Kurs zu ändern, hören wir das coulda, shoulda, woulda oft so laut, dass es unmöglich scheint, unsere eigene innere Stimme überhaupt noch zu hören. Versteht mich nicht falsch, Regeln gibt es aus gutem Grund. Natürlich kann niemand einfach für sich entscheiden rote Ampeln zu missachten, all die Dinge aus dem Laden mitzunehmen, die ihm gefallen oder seine Steuern nicht zahlen, nur weil er sich nicht so danach fühlt. Zusammenleben braucht Regeln und seid versichert: Ich persönlich liiiiebe Regeln!

Für mich als Kontrollmensch bieten sie Sicherheit und Orientierung, ein Gerüst in diesem großen Chaos, das sich Leben nennt. Aber: Das Leben spielt nun mal nicht immer nach diesen Regeln, die sich gesellschaftlich ja auch ständig verändern und als wären Liebeskummer, Jobverlust oder andere Schicksalsschläge nicht schon an sich schlimm genug, blockieren wir uns mit diesen vermeintlichen Normen oft noch zusätzlich.

Wer sagt denn, dass man als Paar nicht auch glücklich sein kann, wenn der eine in Hamburg und der andere in Timbuktu wohnt? Wer hat festgelegt, dass eine erfolgreiche Karriere immer nur logischen und aufeinander aufbauenden Entscheidungen folgen muss und wer bestimmt, was eine gute Freundschaft ist? Richtig – niemand. Außer dir selbst. Klar, das gesellschaftliche Zusammenleben muss im Rahmen der Gesetze ablaufen und man selbstverständlich auch keine anderen Person gefährden (ich sage nur Coronaleugner), aber die Regeln, die du für dich und dein eigenes Leben triffst, sollten auch nur dir und dir alleine gerecht werden.

Statt dich komisch oder unnormal zu fühlen, weil du nicht in diese oder jene enge Schublade passt, solltest du stolz darauf sein, dass du in der Lage bist zu erkennen, was du gerade brauchst oder was eben nicht und genau diesem Gefühl zu folgen.

Ich selbst bin natürlich auch nicht frei davon mich regelmäßig zu vergleichen, gefallen zu wollen und dem urmenschlichen Bedürfnis dazuzugehören Folge zu leisten. Aber es gibt Aspekte meines Lebens, in denen ich es schon sehr gut schaffe, meine eigenen Regeln zu machen. Ich habe zum Beispiel schon vor Jahren erkannt, dass ich meine Energie, auch in kreativer Hinsicht, hauptsächlich aus mir selbst ziehe. Ich brauche sehr viel Zeit für mich, Ruhe, Selbstreflexion und das Zwiegespräch mit mir ganz alleine. Nur so kann ich wiederum in Interaktion mit anderen treten und dann auch voll und ganz im Moment sein.

Mich persönlich kosten soziale Interaktionen immer sehr viel Kraft und deshalb entscheide ich inzwischen sehr bewusst, wofür ich diese Kraft aufbringe. Ich muss nicht ständig unter Leuten sein, fühle mich in kleinen Gruppen deutlich wohler, als in großen Runden, ziehe viel mehr aus einem Gespräch, als aus einer wilden Sause und kann mich gut und gerne mal eine Woche zuhause einsperren. Das stieß in der Vergangenheit allerdings oft auf Unverständnis.

Schließlich ist es für eine junge, aufgeschlossene Frau doch normal, gern unter Leuten zu sein, Parties zu feiern und sich zu amüsieren. Wie oft habe ich mich selbst für seltsam, unnormal und gar asozial gehalten, weil ich eben nicht um 4 Uhr früh im Club das pure Glück empfand, sondern eigentlich lieber zuhause im Bett gewesen wäre. Cliquen und größere soziale Gebilde setzen mich unter Druck, statt mir ein Zugehörigkeitsgefühl zu vermitteln und anstatt die Wahrheit zu sagen, habe ich mir deshalb viel zu oft dumme Ausreden einfallen lassen, um bestimmtem sozialen Verpflichtungen zu entfliehen.

Das habe ich jahrelang so gehandhabt und bin darüber trauriger und trauriger geworden. Weil ich auf Biegen und Brechen irgendwie nicht in die Norm passen wollte.

Ich zweifelte an mir, empfand mein Bedürfnis nach Ruhe als hinderlich und hätte alles dafür gegeben anders zu sein. Irgendwann aber, und da spielte das Erwachsenwerden eine ganz große Rolle, lernte ich mich selbst zu akzeptieren wie ich bin und erkannte, dass wenn ich mich nicht ändern konnte und gleichzeitig nicht weiterhin leiden wollte, kein Weg daran vorbeiführen würde, meinen Bedürfnissen nachzugeben. Mich nicht an der vermeintlichen Norm zu orientieren, sondern meine eigenen Regeln aufzustellen.

Also habe ich fortan auf Einladungen hin nicht mehr gelogen, sondern einfach abgesagt, wenn ich irgendwo nicht hingehen wollte. Ich habe mich nicht mehr auf Parties gequält, bei denen ich spätestens nach einer Stunde sowieso wieder gehen wollte und klar kommuniziert, womit ich mich wohl fühlte und womit nicht. Das stieß bei meinem Umfeld natürlich erstmal auf Unverständnis und Verwunderung und gewisse Freundschaften haben sich von da an mit der Zeit auch von selbst erledigt. Heute aber habe ich Freunde, die das komplett akzeptieren und Beziehungen, die ehrlicher nicht sein könnten. Meine Freunde wissen genau, dass ich gerne Zeit mit ihnen verbringe, weil ich es sonst schlicht und einfach nicht machen würde und auch was meinen Job betrifft, muss ich nicht auf jeder Party tanzen, nur um dabei gewesen zu sein. Natürlich muss auch ich bestimmten Verpflichtungen nachkommen, aber im Großen und Ganzen kann ich meine Bedürfnisse gut erkennen und kommunizieren und komme somit immer seltener in die Situation, dem coulda, shoulda, woulda blind zu folgen.

Seine eigenen Regeln zu machen, bedeutet nicht gleich ein Aussteigerleben à la Öff Öff.

Es bedeutete lediglich, sich frei zu machen, von den starren Regeln und Normen, denen man in seinen Entscheidungen manchmal folgt, ohne es zu merken. Aber hey: Wenn da gar kein Leidensdruck ist und ihr euch gerne an dieser oder jener Norm orientiert, umso besser. Aber für den Fall, dass euch der Vergleich mit anderen viel zu oft eher traurig macht, ihr an euch und eurem Weg zweifelt und bestimmte Gefühle oder Wünsche gar nicht erst zulasst, weil sie von anderen als komisch oder unnormal bezeichnet werden könntet, dann kann ich nur sagen: Zur Hölle mit dem coulda, shoulda, would und her mit dem Mut auch mal anzuecken, nicht zu gefallen, andere mit seiner Entscheidung auch mal zu überraschen oder gar zu verstören.

Denn abseits der Trampelpfade gibt es unberührte Erde, die nur darauf wartet, dass ihr euren ganz eigenen Weg geht.

Bild im Header: @pelinguel_

2 Antworten zu “Zur Hölle mit dem coulda, shoulda, woulda : Wieso wir lernen sollten, unsere eigenen Regeln zu machen!”

  1. Liebes Frl. Herr,
    wunderbare und ehrliche Worte von einer jungen Frau, die weiß was sie will. Respekt!
    Einen wunderschönen Sonntag von einer treuen Leserin

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