Unpopular opinion: Du musst nicht immer dein Bestes geben!

Fleiß, Hingabe, Aufopferung – das sind Eigenschaften, mit denen man in unserer Gesellschaft weit kommt. Zumindest wird uns das von klein auf eingetrichtert. Wenn man sich nur doll genug bemüht, dann kann man alles schaffen. Tja – und wenn nicht, dann hat man den Erfolg auch nicht verdient. Sicherlich steckt hinter den meisten Erfolgsgeschichten jede Menge dieser „Gib stets 100% Mentalität“ und ja, in den seltensten Fällen kommt der große Erfolg einfach so vom Nichtstun, aber: Kontinuierlich 100%, also ALLES zu geben, was man hat, ist ganz schön viel, wenn ihr mich fragt. Versteht mich nicht falsch: Ich halte Fleiß und eine persönliche Zielsetzung für außerordentlich wichtig, um zu wachsen, sich zu entwickeln und seine Ziele zu erreichen und ja, manchmal muss man tatsächlich einfach die Arschbacken zusammenkneifen – aber die 100%-Sache stelle ich doch grundsätzlich in Frage. Denn wer immer 100% gibt, hat am Ende nichts mehr übrig! So wie ich das sehe, sollte man vielmehr sehr bewusst entscheiden, wo die eigene Energie (also die 100%) am besten investiert sind.

Ich selbst würde mich definitiv als fleißig und aufopferungsbereit bezeichnen – und trotzdem habe ich besonders in den letzten Jahren, vor allem in der Selbstständigkeit, gemerkt, dass es nicht nur schlichtweg gar nicht möglich ist, IMMER 100% zu geben, sondern auch einfach nicht nötig. Laut dem Pareto-Prinzip (falls euch das interessiert, könnt ihr das einfach mal googeln) reichen schon 20% des Aufwands für 80% des Ergebnisses aus. Das klingt in meinen Ohren zwar schon nach ziemlich wenig, aber da steckt schon einiges Wahres drin. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass jobtechnisch meine 100% nicht nur dazu führen, dass ich mich komplett aufreibe und danach so leer bin, dass ich erstmal eine Pause brauche, sondern auch, dass diese Hingabe oft weder bemerkt, noch wertgeschätzt wird.

Sein Bestes zu geben beinhaltet nämlich immer einen ganz subjektiven Faktor.

Nämlich, dass du selbst entscheidest, ob das jetzt dein Bestes war oder nicht. Und wenn du dir dann ganz ehrlich eingestehen musst, dass das vielleicht nicht 100%, sondern nur 90% oder 70% waren, und es dann nicht klappt – tja, dann bist du halt einfach selbst schuld. Wenn das aber dein Bestes war und es trotzdem nicht geklappt hat, dann musst du die Schuld nicht bei dir, sondern bei irgendeinem anderen schicksalhaften Faktor suchen. Macht zwar irgendwie Sinn, ist aber sehr gefährlich, denn: Manche Menschen (und dazu zähle ich auch mich selbst), verstehen unter den 100% eben mehr als die eigentlich verfügbaren 100%. Das bedeutet sie gehen über ihre eigenen Grenzen hinaus, schaden sich im Zweifelsfall selbst und stehen nachher leer und frustriert vor ihrem Erfolg oder Nicht-Erfolg. Aber Erfolg misst sich nicht daran, wie ausgebrannt man am Ende eines Projekts ist.

In unserer Gesellschaft allerdings wird dieses Aufreiben, das Aufarbeiten, die Selbstaufopferung so glorifiziert, dass man sich schnell faul oder unproduktiv vorkommt, wenn man das ein oder andere Projekt mal auf Sparflamme fährt. Und genau hier liegt doch das Problem: Unsere Energie, Kreativität, unsere Stärke nützt uns und auch der Gesellschaft doch nur dann als Ressource, wenn sie schonend eingesetzt wird. Wer sich also aufgrund falscher Erwartungen dazu verleiten lässt, sich selbst derart aufzureiben, tut weder sich, noch der Allgemeinheit einen Dienst. Die Zahlen der Burn-Out Diagnosen steigen Jahr für Jahr an und jeder von uns denkt sicherlich, dass ihn das nicht treffen kann. Denkste, Puppe! Denn wir Menschen haben schlichtweg nicht immer 100% zu geben. Wir sind ja nicht nur unser Arbeits-Ich, unser Beziehungs-Ich, unser Freundschafts-Ich oder unser Selbstliebe-Ich – wir sind immer alles gleichzeitig. Deshalb variiert auch die Energie, die uns zur Verfügung steht immens. Folgen wir aber dem Credo des „Du musst immer dein Bestes geben!“ laufen wir nicht nur Gefahr, schnell auszubrennen, wir machen uns auch schlichtweg was vor.

Ja, wenn einem etwas sehr sehr wichtig ist, sollte man sein Bestes geben! Aber das Beste von heute ist nicht unbedingt das Beste von gestern oder morgen – und selbst wenn man manchmal ganz genau weiß, dass man bei dieser oder jener Sache eigentlich nicht 100% gegeben hat, ist das noch kein Beinbruch oder Grund, sich als Versagerin zu fühlen. Viel wichtiger ist es, seine eigenen Energielevel besser einschätzen zu lernen, rauszufinden, auf welcher Stressfrequenz man am besten funktioniert und vor allem, am meisten erreicht. Ich habe hier für mich klar rausgefunden, dass ich zwar immer mehr tun könnte, immer mehr Bilder oder Texte produzieren und somit mein Posting-Outcome und damit auch meine Sichtbarkeit steigern könnte, aber ich tue es nicht. Einfach, weil ich nicht immer mein Bestes geben kann – oder ja, auch nicht will.

Ich bin keine Maschine. Genauso wenig wie ihr es seid.

Und deshalb muss ich auch nicht täglich dieselbe Menge an Produktivität ausspucken. Das ist doch Menschsein, das ist unsere Stärke. Und diese Stärke als Ressource zu begreifen hat bei mir echt einen Unterschied gemacht. Ich bin nicht weniger Wert, wenn ich mal nicht alles gebe, was ich habe. Und wenn der Erfolg dann hier und da mal ausbleiben sollte, dann kann mich der Erfolg halt mal. Deswegen sage ich an der ein oder anderen Stelle inzwischen immer öfter: „Passt schon so!“, auch wenn ich weiß, dass es nicht perfekt ist, ich nochmal neu starten könnte, mir mehr Mühe geben könnte und mich so lange reinsteigern könnte, bis ich mit Fug und Recht sagen kann, dass das meine 100% waren. Auch wenn eine innere Stimme mir dann oft zuflüstert, dass ich faul oder unnütz bin und ich immer wieder mit großen Selbstzweifeln zu kämpfen habe, weiß ich doch, dass es wahrscheinlich ausreichen wird. Denn nur wenn ich hier und da mit 60% oder 70% arbeite, habe ich die Kraft, die ich brauche auch mal wieder 100% zu geben. Das ist einfache Mathematik – und die verstehe sogar ich.

Bild im Header: @martinamartian

2 Antworten zu “Unpopular opinion: Du musst nicht immer dein Bestes geben!”

  1. Bin sowas von deiner Meinung. Danke für diesen Post ❤️❤️❤️. Ich war vor ca. 3 Wochen auf einem Seminar, bei dem uns, unter anderem, genau diese Gedanken als Impulse gegeben wurden. Ist nicht so einfach dieses Muster abzulegen. Ist toll jetzt so einen Post zu lesen 🎉🎉🎉

    • Oh ich hab schon so viele Geschichten zu diesem Thema geschickt bekommen und das scheint echt in vielen Firmen an der Tagesordnung zu sein – aber auch bei uns Selbstständigen. Sich abzuarbeiten ist nicht gesund und sollte deshalb auch nicht glorifiziert werden!

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