Selbstfindungstrip Umzug: Wer bin ich – und wenn ja, in welcher Farbe?
Eine neue Wohnung ist ein bisschen wie ein Reset.
Man bekommt ein weißes Blatt Papier vor die Nase gehalten, eine leere Festplatte, und darf sich ganz neu definieren – ja, vielleicht sogar neu erfinden. Klar, ein paar Möbel, Bilder oder heiß geliebte Deko-Stücke begleiten einen auch durch mehrere Wohnung hinweg, aber diese neuen leeren vier Wände verlangen danach auch neu befüllt zu werden. Mit Leben, mit Charakter, mit Identität.
Und da geht es auch schon los: Wer will man eigentlich sein? Wie will man leben? Ist man eher der moderne, reduzierte Typ oder der sammelwütige Vintage-Fan? Steht man auf knallige Wandfarben oder soll lieber alles elegant weiß bleiben? Und wieviel Geld ist man eigentlich bereit in so eine Wohnung zu stecken? Fragen über Fragen also, bei denen man wieder und wieder nach Hilfestellung, Inspiration und Wegweisern sucht und bei deren Beantwortung man sich auch gerne mal in einem Irrglauben verlaufen kann (mehr dazu hier).
Zieht man dann noch mit dem Partner zusammen, werden diese Fragen potenziert.
Dann geht es nicht mehr nur darum, ob einen selbst Lampe 1 oder Lampe 2 besser gefällt, sondern auch darum, dass die Lampe ja irgendwie Ausdruck der Paar-Identität sein soll. Was dir gefällt, muss nicht zwangsläufig mir gefallen – und gibt es überhaupt so etwas wie einen gemeinsamen Geschmack? Eine Beziehung zweier Menschen ist ja von Grund auf schon ein konstantes Abgleichen von Wünschen, Erwartungen, Vorstellungen und Gefühlen. Wie zur Hölle soll ein Möbelstück diesen Spagat schaffen können? Und wenn man interiortechnisch komplett anders tickt? Ist das ein schlechtes Zeichen für die Beziehung oder sind hier schlicht und einfach Kompromisse gefragt?
Ich glaube Ihr merkt worauf ich hinauswill: Selbstfindung ist anstrengend. Selbstfindung hoch zwei ein echter pain.
Aber nicht nur bei der Wahl der Möbel, der Wandfarbe, des Einrichtungsstils oder der Küchengeräte (Team funktional und praktisch oder Team designig und kompliziert?) gilt es bei so einem Umzug unzählige Fragen zu klären – auch über den eigenen Charakter kommen so einige dunkle Wahrheiten ans Licht. Wie geht man mit Stresssituationen um? Wie entscheidungsfreudig ist man? Und wie kompromissbereit? Ich denke ich lehne mich nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass in einer solchen Situation JEDE Beziehung auf eine harte Probe gestellt wird.
Denn zwischen dem gefühlt 8000. Ikea-Besuch, unzähligen Debatten über Wandfarben oder Kleiderschrankplatzverteilungen weicht selbst die größte Liebe in manchen Momenten dem blanken Hass.
Aber: Streits um Geschmäcker und Vorstellungen gehören schlicht und einfach dazu. Doch auch persönliche Befindlichkeiten, Prioritäten und Ängste werden durch die Extremsituation Umzug getriggert. So musste ich zum Beispiel nach nur wenigen Wochen der Wohnungsplanung einsehen, dass ich eine ziemlich furchtbare Freundin sein kann. Und solche Erkenntnisse tun immer weh.
Während mein Freund sich nämlich gewissenhaft und pragmatisch darum kümmerte, dass wir Strom und Internet bekommen, steckte ich schon knietief in der Auswahl der Tapeten. Und auch wenn wir uns die Arbeit nach unseren jeweiligen Stärken aufgeteilt hatten (Er: Aufbau & Technik, Ich: Design & Deko), habe ich mich dann doch ein wenig verleiten lassen und die Bedürfnisse meines Freundes allzu oft hinter meinen eigenen angestellt (zum Glück ist Egoismus keine Todsünde, aber sonderlich sympathisch ist er auch nicht gerade). Dabei macht er es mir eigentlich sehr leicht. Seine einzigen Vorraussetzungen waren: Man soll sehen, dass in der Wohnung auch noch ein Mann lebt und er braucht einen Schreibtisch.
Sollte also eigentlich nicht so schwer sein, denkt Ihr? Dann seid Ihr noch nie mit mir zusammengezogen!
Ich nämlich plane lieber große Schränke aus Wiener Geflecht ein, statt meinem Freund einen Platz für den Schreibtisch zu lassen. Die heiß geliebte Holztruhe seiner Eltern? Nope – passt nicht zum Rest! Gut – ganz so böse bin ich dann nun auch wieder nicht, aber ich verliere mich doch viel zu oft in meinem ästhetischen Perfektionismus und lasse Gegenvorschläge nicht zu. Dafür gab es dann zurecht eine kleine Rüge seitens meines Freundes, der sich in der Möbelplanung etwas benachteiligt fühlte. Aus der Rüge wurde nach nur wenigen Wochen aber ein ausgewachsener Streit und obwohl ich wusste, dass die Forderung meines Freundes mehr als berechtigt war, schaffte ich es irgendwie trotzdem nicht, von meinem Standpunkt abzurücken. Und das war eine Selbsterkenntnis, die mir nicht ganz so gut schmeckte.
Denn so bedacht und umsichtig ich in vielen Lebenslagen sein kann, wenn es darum geht, wie mein Zuhause aussieht, werde ich zur Löwin.
Meine vier Wände waren mir schon als kleines Mädchen heilig und ich verbrachte ohne Murren Nachmittage damit, mein Kinderzimmer ordentlich und schön zu halten. Chaos? Gabs bei mir nie. Schon damals war ich wohl irgendwie der Ansicht, dass das Äußere das Innere widerspiegelt und fand ein schönes und aufgeräumtes Zimmer wahnsinnig beruhigend. Das ist heute noch so. Denn das Chaos meiner jetzigen Wohnsituation hat schon seit langem großen Einfluss auf meine Gemütslage. Steht mal wieder alles wild verteilt in Wohnzimmer, Flur oder Küche herum, fällt es mir auch schwerer meine Gedanken zu ordnen und für Kreativität bleibt kein Platz mehr. Deshalb möchte ich es in der neuen Wohnung so viel besser machen und verzettele mich dann in meinen eigenen Ansprüchen manchmal so sehr, dass ich die tatsächlich wichtigen Dinge aus den Augen verliere.
So ein Umzug ist aber nun mal auch eine Extremsituation. Und Extremsituationen bringen oft die Dinge zum Vorschein, die im Alltagstrott häufig sauber zugedeckt bleiben.
Kleiner Spoiler: Wir haben uns wieder vertragen und werden mit jedem Streit-Möbelstück besser im Kompromisse schließen. So abgedroschen es auch klingt, aber das Leben und auch eine Beziehung sind eine Reise und kein Ziel. Man lernt so viel über sich, wenn man auch mal zuhört, statt nur zu reden und jedes Vertragen als bewusste Entscheidung füreinander erkennt.
Vom Druck des perfekten Instagram-Lebens habe ich in meiner letzten Sonntagskolumne bereits berichtet – schön und perfekt soll sie sein, die Wohnung. Sie soll aber auch vor allem eines sein: Ein Zuhause. Und egal wie anstrengend es ist, bis man alles ausgeräumt und wieder eingerichtet hat, ob man alleine umzieht oder als Paar – man kann sich doch auf etwas freuen. Denn ist es erstmal geschafft, wird man mit ganz viel Wärme belohnt. Mit einem neuen Lebensmittelpunkt, einem neuen Zuhause, das genauso mitwächst, wie wir es tun.
Liebe Karo,
Danke für deine wie immer offenen Worte. Ich finde es toll, dass du hier so selbstkritisch bist, das macht dich nur noch sympathischer.
Aus der Erfahrung von 15 Jahren Zusammenwohnen kann ich sagen, dass es natürlich auch nach dem Einzug, wenn alle Möbel angeschafft sind, alles da steht, wo es hin sollte, weitergeht mit den Kompromissen, den Sachen, die einen plötzlich nerven (auf die Wohnung) bezogen, die man vorher nicht als so störend wahrgenommen hat. Wir hatten sogar schon mal den Punkt, wo mein Freund ein eigenes Zimmer verlangt hat, weil ich so viel rumgemeckert habe über seine Unordnung. Jede Schale, jedes hübsche Tablett, was dekorativ rumstehen sollte, war früher oder später voll mit leeren Feierzeugen, Notizzetteln, allem möglichen Zeug. Der große Schreibtisch als solcher nicht nutzbar, weil er komplett mit Zeug belegt war. Wir haben dann nach einer Diskussion einem kleineren Schreibtisch gekauft, da passt einfach weniger rauf und zwingt ihn, seine Sachen abzuheften und wegzuräumen. Haha. Und wir haben „feste“ Schalen im Esszimmer, wo alles rein kann. Und ich ignoriere das, weil das Wohnzimmer ordentlich ist.
Und er kann nichts wegschmeißen, der Keller ist voll, da steht noch ein Bett, falls man es mal braucht, und anderes, uralte Regale, wo wir beide eigentlich klar sind, dass die nie wieder irgendwo stehen werden. Haben sich aber im Laufe der Jahre und bei jeder gemeinsamen Neuanschaffung angesammelt. Nun hat er letzte Woche einen Abstellraum beim Ferienhaus seiner verstorbenen Eltern aufgeräumt und sich beschwert, was die doch alles aufbewahrt haben, furchtbar viel unnützes Zeugs. Das hat er wohl geerbt, und hat ihm ein bisschen die Augen geöffnet, dass die Dinge bei uns im Keller vielleicht auch nicht mehr notwendig sind. Also demnächst nochmal Sperrmüll 🙂
Und ich muss ihm gewisse Dinge zugestehen, die er einfach braucht, als Erinnerung, als einfache Lösung, um sich jetzt gerade nicht damit beschäftigen zu müssen, entscheiden zu müssen.
Und es hilft, dass wir zum Glück im Großen und Ganzen den gleichen Geschmack haben. Ich hätte jetzt auch lieber farbigere Wände gehabt bei der Renovierung, er lieber alles weiß, und nun haben wir ein freundliches helles Grau, ein Kompromiss, aber sehr schön.
Viel Spaß noch beim weiteren Einrichten und dann beim Genießen, dass ihr nun zusammen lebt, so richtig, mit allem, was dazu gehört.
Liebe Marle,
vielen Dank für deine persönlichen Worte und Erfahrungen. Das ist ganz sicher der Schritt, der uns noch bevorsteht. Das „echte“ Zusammenleben, das Erleben und Ertragen. Da bin ich wahnsinnig gespannt drauf. Auch wenn wir schon die letzten 3 Jahre so gut wie jeden Tag miteinander verbringen, gibt es ganz sicher noch einige Hürden und Erfahrungen, die wir gemeinsam meistern müssen, aber da freue ich mich drauf.
Happy Sunday & ganz liebe Grüße,
Karo