Über den wohl wichtigsten Skill, den ich bisher lernen musste: Für mich selbst einzustehen!

„Steh für dich selbst ein. Wenn du es nicht tust, tut es keiner!“. Diese so einfach klingende Lebensweisheit hat sicher jeder von uns schon mal gehört. Ob uns nun ein Glückskeks daran erinnern will, sie uns von einem Wandtattoo entgegen geschleudert wird oder in einem Selbstliebeartikel begegnet – zustimmen würden wir wohl alle, oder? Klingt ja auch ziemlich selbstverständlich. Aber ist das wirklich so leicht getan, wie gesagt?

Ich für meinen Teil würde mich als meinungsstark beschreiben und kann, je nach Situation und Gegenüber, sehr wohl sagen, was ich denke und was mir wichtig ist. Gleichzeitig bin ich aber auch ein people pleaser, konfliktscheu und harmoniebedürftig. Ich möchte immer, dass alle happy sind und kann nur sehr schwer damit umgehen, wenn das Bedürfnis eines anderen meinetwegen nicht erfüllt wird. Diese Diskrepanz verleitet mich viel zu oft dazu, lieber Kompromisse einzugehen, Situationen auszuhalten, die mich eigentlich belasten und wenn nötig die Extrameile zu gehen, statt klare Grenzen zu setzen. Sowohl privat, als auch beruflich. Das kann man schon mal durchhalten – zumindest solange, bis man es eben nicht mehr kann.

Denn irgendwann werden die Kompromisse immer schwieriger zu erfüllen, ohne die eigenen Bedürfnisse dabei komplett zu vergessen.

Aber was bedeutet es eigentlich für sich selbst einzustehen? Es bedeutet, seine Bedürfnisse nicht nur zu erkennen, sondern sie auch äußern und priorisieren zu können. Es bedeutet Grenzen zu setzen, Nein zu sagen und sich so vor Situationen, Menschen oder Belastungen zu schützen, von denen man genau weiß, dass sie einem nicht gut tun oder zu widersprechen, wenn einem Ungerechtigkeit widerfährt. Und als ob das nicht schon schwer genug klingen würde, kommt dabei noch ein ganz wichtiger Aspekt on top: Nämlich all das zu tun und sich dafür nicht schuldig zu fühlen.

In einer Gesellschaft, in der Aufopferung und Überarbeitung, besonders bei uns Frauen, immer noch glorifiziert wird, ist das Gefühl von Schuld oder egoistisch gehandelt zu haben, nach wie vor sehr eng mit dem Für-Sich-Einstehen verbunden. Und oft erscheint es uns schlichtweg leichter und vor allem konfliktfreier, die eigenen Grenzen zu ignorieren und es „halt einfach mal zu machen“. Ja, es kann verdammt schwer sein für sich selbst ein- und aufzustehen, wenn man gleichzeitig ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis hat und Konflikte meidet. Aber wisst ihr was? Kaum etwas fühlt sich besser an, als wenn man es dann doch tut.

In den letzten Wochen hatte ich gleich zwei berufliche Situationen, in denen ich diesen Skill unter Beweis stellen musste. Ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen (die Verschwiegenheitsklausel lässt grüßen), fand ich mich in Situationen wieder, in denen ich mich zum einen von meinem Kunden nicht gehört und verstanden fühlte und zum anderen ein Mehraufwand von mir verlangt wurde, der in meinen Augen nicht gerechtfertigt war. Ich stand also vor der Entscheidung entweder angenehm und unkompliziert zu sein, die Mehrarbeit einfach zu machen und zu hoffen, dass damit dann alle happy wären oder bewusst den schwierigeren Weg zu wählen, in die Konfrontation zu gehen und für mich selbst einzustehen. Noch vor ein paar Jahren wäre ich wohl eingeknickt – die Angst davor, mir beruflich irgendetwas zu verbauen, wäre einfach zu groß gewesen. Heute aber weiß ich, wie der Hase läuft, kann einschätzen welche Forderungen angebracht sind und welche nicht und habe gelernt, dass ich in meiner One-Woman-Show für mich einstehen muss, weil es halt sonst buchstäblich niemand tut.

Also tat ich genau das – und zwar indem ich mir mich selbst als meine Anwältin vorstellte, die mich vor der Gegenseite verteidigt, kein Problem damit hat, sich unbeliebt zu machen (ist ja schließlich ihr Job) und trotzdem sachlich dabei bleibt. Das Ergebnis: Ich ging aus beiden Gesprächen nicht nur mit einer Lösung raus, die für beide Seiten passte, sondern auch mit dem guten Gefühl, in meinem eigenen Team gekämpft und gewonnen zu haben.

Und dieses Gefühl ist unbezahlbar!

Nein, das war nicht wirklich leicht. Und ich kann hier und heute auch nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass ich die Kraft und Stärke in der nächsten Situation auch wieder aufbringen kann. Aber mir ist zum ersten Mal so richtig bewusst geworden, dass es sich verdammt nochmal lohnt. Dennoch: Im Zusammenleben mit anderen, werden Kompromisse immer nötig sein – und Situationen anderen zuliebe auszuhalten oder auch seine eigenen Bedürfnisse mal hinten anzustellen, ist nicht per se schlecht oder immer ein Verrat an sich selbst. Es kommt auf die Balance an – und genau deshalb spreche ich auch hier von einem Skill. Für sich selbst einzustehen ist etwas, das man lernen muss und vor allem lernen kann. Ob nun beruflich oder in privaten Beziehungen ist der Grat sehr schmal, andere zufrieden zu stellen und sich selbst dabei nicht zu vergessen. Man muss abwägen, seine eigenen Kräfte einschätzen lernen, erkennen wo Widerstände angebracht und hilfreich sind und wo sie einem vielleicht nur die Illusion von Selbstfürsorge vorgaukeln. Aber ganz egal in welcher Situation wir dahingehend auf die Probe gestellt werden: Für sich selbst einzustehen, seine eigenen Anwältin zu sein, in seinem eigenen Team zu spielen, kann und darf nie mit Schuld oder schlechtem Gewissen verbunden sein. Statt Scham, Schuld oder dem Gefühl eine Egoistin zu sein, verdienen wir dafür alle eine Self High Five und den Mut beim nächsten Mal wieder das eigene Team zu wählen!

Illustration im Header: Sujin Kim via Pinterest

4 Antworten zu “Über den wohl wichtigsten Skill, den ich bisher lernen musste: Für mich selbst einzustehen!”

  1. Guter Artikel und wichtige Impulse, danke Karo! Das ist gerade auch bei mir Thema. Ich finde vor allem das Bild der eigenen Anwältin richtig gut und hilfreich.

    • Danke für dein Feedback, liebe Isa! Genau das Bild hilft mir selbst sehr, wenn ich einer Situation bin, in der ich denke es eben „alleine“ nicht zu schaffen <3

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