Bloggen in Zeiten von Reels, TikTok & Co.: Vergebene Liebesmüh oder smarter Move?

Während unterhaltsamer Video-Content uns inzwischen gerade mal so noch ca. 15 Sekunden unserer Aufmerksamkeit abringen kann, schreibe ich im Jahr 2022 immer noch täglich an meinem Blog. Blog? Was das? Für den Fall, dass sich auch ein paar VertreterInnen der Generation Z auf diesen Artikel verirrt haben (was ich bezweifle), hier eine kurze Erklärung: Blogs sind wie Instagram oder TikTok, nur ohne Video, mit viel Text und einigen Bildern (die sich nicht bewegen) und man muss erstmal ein paar Mal klicken, um sie aufzurufen. Klingt anstrengend? I feel you! Ich muss ja ehrlich gestehen, dass selbst ich, die ich ja bei weitem nicht zu den Blog-Urgesteinen der deutschen Digitalszene gehöre, sondern eigentlich erst sehr spät auf den Zug aufgesprungen bin, mich heutzutage immer öfter fühle wie ein Dinosaurier, der in der Ferne schon den Asteroid erkennen kann. Nicht nur deshalb, weil ich es immer noch bevorzuge meine Inhalte durch Text statt durch Tanz auszudrücken oder mich nicht nur täglich mit dem Instagram-Algorithmus, sondern auch noch mit Googles Vorgaben zum SEO-Ranking rumschlagen muss, sondern auch, weil ich in den letzten Jahren merke, wie sich die digitalen Kommunikationswege ändern. Oder soll ich sagen geändert werden?

Alles wird immer mehr, mehr, mehr und vor allem immer schneller, schneller, schneller!

Einfach mal so chronologisch durch Instagram scrollen? Ach – mega oldschool! Die künstliche Intelligenz weiß bereits was du magst oder was du mögen sollst und zeigt dir die Dinge, die dich wahrscheinlich am ehesten zur Reaktion animieren. Lesen? Völlig überbewertet – in einem knackigen 15-Sekünder lassen sich doch auch komplexe Inhalte wie der Israel-Palästina-Konflikt erklären und mit einem Swipe bist du top informiert (Achtung Sarkasmus). Instagram begründet seinen Move zur Priorisierung von Video-Content mit dem Wunsch der NutzerInnen nach Unterhaltung – und das kann ich sogar komplett nachvollziehen. Aber – und es war klar, dass hier ein aber kommt – meiner Meinung nach wird uns durch diesen snackable content (also möglichst kurze, prägnante Informationen) nach und nach auch die Fähigkeit abtrainiert, längere Texte zu lesen und vor allem zu verstehen, Informationen zu reflektieren und zu hinterfragen und sich selbst zu informieren. Ich weiß, ich klinge schon wieder wie der Dinosaurier und der Asteroid kommt näher, aber was soll ich sagen – ich persönlich möchte auch über die Aspekte zwischen den Zeilen informiert werden.

Und genau das ermöglicht mir mein Blog. Im Gegensatz zu Feed oder Story rutschen die Inhalte hier eben nicht nach 24 Stunden ins digitale Nirwana, sondern bleiben für die Ewigkeit auffindbar. Ich bin weder platztechnisch noch zeitlich limitiert, kann Beiträge immer wieder updaten oder anpassen und vor allem: Der Blog gehört mir! Ein Argument, das für mich inzwischen definitiv schwerer wiegt, als alle anderen. Denn in Zeiten von konstantem Wandel, immer neuen Hackerangriffen und einem Meta-Konzern, der sich so gar nicht in die Karten schauen lässt, gibt es mir eine unumstößliche Sicherheit, dass mein Blog nur mir alleine gehört. Sollte Instagram von heute auf morgen Hopps gehen oder mein Account gehackt werden, stünde ich ohne Blog ziemlich blank da. Aber ja, ein Blog ist auch jede Menge Arbeit. Und vor allem viel Arbeit, die man weder sieht, noch unbedingt boss-girl-like für die Instagram-Story verwursten kann.

Immer öfter denke ich mir, wie viele Stories ich am Tag machen könnte und so meinen Instagramaccount stärken würde, säße ich nicht daily für ein paar Stunden hinter meinem Rechner, würde Bilder zuschneiden, benennen und hochladen, Texte recherchieren, schreiben und Links setzen, fehlerhafte Links wieder entfernen, SEO-Optimierungen durchführen und das Backend pflegen. Bäm – ich könnte euch den lieben langen Tag mit durch mein spannendes (?!) Leben nehmen, von Event zu Event hüpfen, noch mehr DIY’s umsetzen und meine Reichweite steigern. Rein wirtschaftlich gesehen, wäre es sicherlich lukrativer seine Zeit zu 100% in Instagram zu stecken, das sieht man ja alleine daran, dass all diejenigen, die vor Jahren mit Blogs gestartet sind und heute zur ersten Riege der InfluencerInnen gehören, die Website als Outlet früher oder später haben fallen lassen. Denn ja: Marken fragen fast ausschließlich nur noch Social Media Content an. Zum Glück hat mein Blog bei meinen Kunden zwar immer noch ein gutes Standing und wird regelmäßig angefragt, aber dennoch ist das Verhältnis zwischen Instagram-Koops und Blog-Koops höchstens 70-30. Versteht mich nicht falsch: Ich kann mich über Reichweite, Performance und Buchung meines Blogs definitiv nicht beschweren, aber dennoch merke ich, dass das Verständnis für Blogs signifikant abnimmt.

Die Marketingstrategien der meisten Firmen sind auf schnelle Ergebnisse, also Link-Sticker-Klicks und Rabattcode-Verwendung ausgelegt und ein guter Blogpost kann auch mal erst nach ein paar Wochen oder Monaten erst so richtig im Google-Ranking performen. Sooo 2015!

Um jetzt nicht endgültig wie der Dinosaurier vom Dienst zu erscheinen, muss ich selbstverständlich noch betonen, dass ich all die Vorzüge der sozialen Medien natürlich zu 100% kenne und selbst nutze. Frollein Herr ohne Instagram wäre auch bloß eine anonyme Seite ohne Gesicht. Der Blog aber ist das Herz. Weil er mir durch all den Aufwand und die Arbeit, die er mit sich bringt, immer wieder aufs Neue Konzentration und Reflexion abverlangt. Weil er mich daran erinnert, dass meine Worte eben nicht nach 24 Stunden wieder verschwunden sind, sondern zumindest das Potential bergen, zu bleiben. Neulich bekam ich eine Nachricht einer Leserin aus Marokko, die auf einen uralten Artikel von mir zum Thema Freundschaft gestoßen ist und der sie irgendwie berührt hat. Genau das ist die Stärke von Blogs: Sie sind nicht immer snackable, unterhaltend oder lustig (dürfen sie aber selbstverständlich auch sein). Aber sie haben das Potential, dass meine Worte gehört werden – und zwar auch dann, wenn der Oberchef im Silicon Valley mal wieder ne neue Idee hat, über die er uns alle, deren Karrieren an eben seine Entscheidungen geknüpft sind, selbstverständlich nicht informiert. Ja, ich liebe Instagram – aber ich bin froh, dass meine berufliche Zukunft nicht alleine in den Händen von Mark Zuckerberg liegt.

Bild im Header: @lisacongdon

6 Antworten zu “Bloggen in Zeiten von Reels, TikTok & Co.: Vergebene Liebesmüh oder smarter Move?”

  1. Ja der content gehört dir – das ist viel wert und langfristig auch garnicht doof! Ich lese gerne weiterhin Deinen Blog 🥰

  2. Kleiner Schmunzler am Rande :

    Wie nennt man einen Dinosaurier, der viele tiefe Fragen stellt?
    Ein Philosoph ❤️

    Wir mögen Dinosaurier 🦖 vor allem weil sie so schön selten geworden sind ..

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