Entweder Oder: Die Nachhaltigkeits-Doktrin

Ich habe lange überlegt, ob ich den Plastiktaschen-Artikel (hier) überhaupt schreiben soll. Nicht, weil ich das Thema nicht für einen wahnsinnig großen Trend halte, der viele von Euch interessieren würde, sondern weil ich ein wenig Bedenken bezüglich der Reaktionen hatte. Nach jedem Plastiktaschen-Bild, das ich in der Vergangenheit veröffentlichte, kam neben wahnsinnig viel Begeisterung, auch der ein oder andere Kommentar à la „Kannst du das denn moralisch vertreten? Schließlich verpestet Plastik unseren Planeten“.

„Kannst du das denn moralisch vertreten? Schließlich verpestet Plastik unseren Planeten“

Da ich mir all Eure Kommentare wirklich zu Herzen nehme und diese Nachfrage immerhin ein paar Mal kam, hab ich mir natürlich meine Gedanken dazu gemacht. Während dieser Zeit habe ich den Artikel vor mir hergeschoben und wollte ihn zwischenzeitlich ganz streichen – aber es kamen auch immer wieder Fragen, wo man denn diese hübschen Plastiktaschen bekommt und ob ich auch günstige Modelle kenne. Ich fand mich also in einem echten Dilemma wieder. Ich wollte über den Trend berichten und trotzdem die Kritik und die Plastik-Thematik nicht völlig ignorieren.

Dann habe ich angefangen mich über das Thema ein bisschen schlau zu machen, mir Dokumentationen angesehen, recherchiert und mit Freunden gesprochen. Viele dieser Freunde sind selbst Veganer, leben nachhaltig oder weitestgehend plastikfrei und ihre einhellige Meinung war: „Als ob deine 400€-Céline-Tasche im Meer landet – da verzichte bitte erstmal auf Joghurt aus Plastikbechern!“ Selbst meine nachhaltig lebenden Freunde, darunter auch welche, die selbst Naturkosmetiklabels führen oder in der Ernährungspolitik tätig sind, hielten mich also nicht für den größten Umweltsünder des Jahrhunderts. Das war doch schon mal was.

Selbst meine nachhaltig lebenden Freunde, darunter auch welche, die selbst Naturkosmetiklabels führen oder in der Ernährungspolitik tätig sind, hielten mich also nicht für den größten Umweltsünder des Jahrhunderts. Das war doch schon mal was.

Ich möchte direkt und ganz klar betonen, dass ich mich durch diese Aussagen nicht von aller Verantwortung reinwaschen möchte. Dass dieser Trend eine absolute Geschmacks- und Einstellungssache ist, ist klar. Und über die Nachhaltigkeit einer Céline-Plastiktasche muss hier auch nicht diskutiert werden. Aber: Dieser Trend ist nicht das Problem. Und jeder sollte selbst entscheiden dürfen, ob er da mitmachen möchte oder nicht. Was aber viel wichtiger ist, als die Frage, ob man Plastiktaschen jetzt gut oder schlecht findet: Was ist denn jetzt genau nachhaltig oder nicht?

Was ist denn jetzt genau nachhaltig oder nicht?

Ich gebe ganz offen und ehrlich zu, dass ich über das Thema Nachhaltigkeit zu wenig weiß. Ich weiß nicht, welche Prozesse oder Stoffe im Detail unsere Umwelt besonders stark belasten, was wirklich wieder abbaubar ist und auf was ich beim Einkaufen achten muss. Das geht von Mode und Beauty, über die Ernährung bis zur Mobilitätsfrage. Wieviele Flüge im Jahr sind denn nun okay? Und was ist eigentlich mit meinem Auto? Je mehr ich mich mit der Thematik befasste, desto unsicherer wurde ich. Im Grunde machte ich einfach alles verkehrt – oder unterstützte zumindest die, die es tun. Die Erde erschien mir plötzlich wie ein riesiges Mienenfeld, in die ich bewusst oder unbewusst immer wieder hereintrat. Und das nicht, weil ich ein böser Mensch bin oder die Umwelt gerne zerstöre – sondern weil ich schlicht und einfach dermaßen lost bin, dass ich einfach gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.

Und das nicht, weil ich ein böser Mensch bin oder die Umwelt gerne zerstöre – sondern weil ich schlicht und einfach dermaßen lost bin, dass ich einfach gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.

Meine Freundin lebt vegan und achtet sehr darauf wie und was sie konsumiert. Sie hält diese Lebensweise allerdings weitestgehend geheim, weil sie sich zu oft schon in Situationen wiedergefunden hat, in den sie sich gegenüber anderen Veganern rechtfertigen musste, wieso sie denn noch bei H&M & Co. kaufe. Die so große Veränderung, die sie in ihrem Leben geschafft hat und die sie sicherlich auch jede Menge Überwindung gekostet hat, war manchen einfach nicht genug. Und da wären wir bei dem, was ich die Nachhaltigkeits-Doktrin nenne. Diese spaltet die Gesellschaft nämlich in zwei Kategorien auf, kennt nur Schwarz oder Weiß. In die Leute, die die Welt zerstören und die, die sie retten. Dazwischen bleibt aber kein Platz für Graustufen. Viel zu oft ist das hier eine Entweder-Oder-Situation. Bewusst konsumieren oder den Trends folgen, plastikfrei leben oder die Vorteile von abgepackten Lebensmitteln oder anderen Haushaltsgegenständen genießen, Fahrrad oder Auto fahren.

Hier liegt für den Otto Normalverbraucher der Hund begraben. Wenn das eine so unmöglich fern, unbequem oder schlicht und einfach nicht umsetzbar scheint, bleibt nur das Oder übrig. Viel zu oft nehmen wir dann lieber den bequemen Weg und kaufen den Plastik-Joghurt, statt nachzudenken und vielleicht in den Laden drei Straßen weiter zu gehen, um den Joghurt im Glas zu kaufen. Weil wir glauben, dass wir ja doch nichts verändern können. Dass wir ja alleine sowieso keinen Unterschied machen. Und genauso geht es mir auch.

Weil wir glauben, dass wir ja doch nichts verändern können. Dass wir ja alleine sowieso keinen Unterschied machen. Und genauso geht es mir auch.

Ich fühle mich von der gesamten Thematik derart überfordert, dass ich das Gefühl habe, erstmal monatelang über Mikroplastik recherchieren zu müssen, um mir eine echte, informierte Meinung darüber zu erlauben. Denn ich gebe nur meinen Senf zu Themen dazu, von denen ich auch Ahnung habe. Damit scheine ich aber (leider) oft recht alleine zu sein. Denn die sogenannten Gutmenschen, die, die denken alles zu wissen, schreien gerne besonders laut. So wie Peter, der unter meinen Céline-Artikel bloß einen rotzigen Kommentar da ließ, wie bekloppt ich denn sei, mir so etwas zu kaufen, während die Welt in Plastik erstickt. Da frage ich mich doch, ob Peter eine Spülmaschine hat, die er mit Tabs befüllt, die alle in einzelnen Plastik-Sachets verpackt sind. Oder ob Peter wohl Joghurt aus dem Glas isst.

Da frage ich mich doch, ob Peter eine Spülmaschine hat, die er mit Tabs befüllt, die alle in einzelnen Plastik-Sachets verpackt sind. Oder ob Peter wohl Joghurt aus dem Glas isst.

Peter hat im Prinzip ja recht. Aber – und das ist das große und wichtige aber – ich glaube nicht, dass die Plastiktasche das Problem ist. Das Problem ist viel grundlegender. Liegt in unserer Kultur, den Reisen, dem Konsum, allem. Ob die Kuh, aus der eine Lederhandtasche gemacht wird, jetzt mehr Methan in die Atmosphäre pupst und damit die Umwelt schädigt – oder ob die Plastiktasche auf einem Müllberg in Indien landet. Ganz ehrlich: I don’t know. Und das ist das Problem. Schaltet man den einen TV-Sender ein, bekommt man Antwort A, zappt man zum nächsten, Antwort B. Einig scheint sich hier keiner zu sein – nur darin, dass wir die Erde kaputt machen.

Und deshalb schreibe ich diesen Artikel. Weil mich das Thema bewegt und ich gleichzeitig einräumen muss, mich überfordert zu fühlen.

Und deshalb schreibe ich diesen Artikel. Weil mich das Thema bewegt und ich gleichzeitig einräumen muss, mich überfordert zu fühlen. Als ich mich also in den letzten Wochen mit diversen Leuten, auch Fachleuten über die Thematik unterhielt, wurde mir auch immer klarer wieso eigentlich. In meinem Interview mit Lisa Scharff (hier), einer Organic Beauty Expertin, die mich über die Basics der Naturkosmetik aufklärte, wurde mir zwar bewusst, wie wichtig es ist, sich mit der Thematik zu befassen, allerdings auch, wie schwierig es ist, „gut“ von „schlecht“ zu unterscheiden. Die Kennzeichnung ist nicht einheitlich, die kleinen, aber feinen Unterschiede sind für den Laien kaum auszumachen. Bio ist nicht gleich vegan, Natur ist nicht gleich bio und manche Labels können sich erst gar kein Siegel leisten, obwohl sie absolut reine Naturkosmetik anbieten. Deshalb ist es umso wichtiger selbst aktiv zu werden, sich zu informieren und in die Materie einzutauchen.

Aber mal ganz ehrlich: Wer von uns hat denn schon die Zeit sich nicht nur mit Kosmetik-Inhaltsstoffen, sondern auch den Produktionsbedinungen der Marken, bei denen man kauft, den Lebensmittelstandards und deren Kennzeichnungstücken oder CO2-Werten bei Airlines zu befassen?

Aber mal ganz ehrlich: Wer von uns hat denn schon die Zeit sich nicht nur mit Kosmetik-Inhaltsstoffen, sondern auch den Produktionsbedinungen der Marken, bei denen man kauft, den Lebensmittelstandards und deren Kennzeichnungstücken oder CO2-Werten bei Airlines zu befassen? Hab ich mir gedacht. Kaum jemand. Und auch hier möchte ich noch einmal betonen, dass es nicht darum geht zu sagen: „Ist mir zu schwierig, ich mache einfach so weiter“, sondern um ein bisschen mehr Verständnis, Geduld und Wohlwollen uns selbst gegenüber. Es ist okay, wenn man nicht an allen Ecken nachhaltig lebt oder sich nur in Babyschritten der Thematik annähert.

Kein Mensch liebt die Veränderung, vor allem dann nicht, wenn sie unbequem ist. Aber jeder Schritt ist gut und wichtig und kann sehr wohl etwas bewirken. Und deshalb möchte ich auch hier an all die Gutmenschen da draussen, inklusive Peter appellieren: Fangt erstmal bei Euch selbst an und befasst Euch gründlich und so umfassend wie nur möglich mit der Thematik, statt immer gleich den Zeigefinger zu erheben und andere dafür zu tadeln, was sie in Euren Augen falsch machen oder irgendjemandem das gefährliche Halbwissen nachzuplappern. Um die Welt zu retten braucht es so viel Veränderungen, in allen Bereichen, dass ich das hier gar nicht erst thematisieren möchte. Dafür habe ich auch viel zu wenig Ahnung (again).

Habt keine Angst Euch mit dem Thema zu befassen und schaut, wo Ihr selbst den ein oder anderen Abstrich machen könnt.

Was ich allerdings sagen möchte ist: Habt keine Angst Euch mit dem Thema zu befassen und schaut, wo Ihr selbst den ein oder anderen Abstrich machen könnt. Plastik einsparen, Müll endlich wirklich richtig trennen oder lokal einkaufen. Kleine Veränderungen tun weniger weh und statt durch zu große Erwartung im Nachhaltigkeits-Verdruß zu enden, bleibt lieber bei Euch, tut Euer Möglichstes und lasst Euch nicht von den Gutmenschen in die Bio-Suppe spucken.

6 Antworten zu “Entweder Oder: Die Nachhaltigkeits-Doktrin”

  1. Danke für diesen Artikel. Ich fühle so mit dir! Wie gern würde ich rein nachhaltig leben, aber dass es wirklich schwer ist und man das nicht von einem auf den anderen Tag schafft, scheint man manchmal zu vergessen. Step by Step!

    • absolut! Und wenn wir uns selbst Stress machen oder sogar Stress von anderen bekommen, wird es nur noch schwieriger! xxx

  2. Ein sehr guter Artikel. Genau so fühle ich auch und finde es blöd, dass es nur Schwarz oder Weiß gibt. Ich finde, dass auch kleine Schritte „gefeiert“ werden müssen. Der Plastikbecher ist ein gutes Beispiel. Davon konsumieren wir in unserem Haushalt zu viele. Es gibt ja auch im normalen Supermarkt Joghurts im Glas… Mich hat der Artikel auf jeden Fall erreicht und mich motiviert auch mal wieder über die kleinen Dinge nachzudenken. Dankeschön dafür. Hab eine schöne Woche!

    • Liebe Saskia, vielen Dank für dein Feedback! Ich habe so viele DM’s bekommen, in denen alle genau das sagen, was Du hier gesagt hat. Schon erstaunlich.. Ich dachte nicht, dass es so vielen so geht wie mir! Aber ein Grund mehr auch auf die kleinen Dinge zu achten und sich nicht verunsichern zu lassen! Ich wünsche dir einen schönen Wochenstart! Liebst, K.

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