„Und was machst du so?“ – im Job-Talk mit Rechtsanwältin Leonie Thum

AnwältInnen sind knallharte Hunde, unsympathisch, haben Dollarzeichen in den Augen, arbeiten non stop und geben doch nur auswendig gelernte Paragraphen wieder? Ja, der Beruf der RechtsanwältInnen hat nicht unbedingt das beste Image. Dass das auch anders gehen kann, beweist meine heutige Interviewpartnerin Leonie Thum. Ja, die hat nicht nur einen ziemlich coolen Instagramaccount für ihre Anwaltskanzlei, sondern entspricht auch sonst so gar nicht dem Klischee der männerdominierten Juristenwelt. Leonie trägt was sie will, zeigt ihre Tattoos ganz offen, hat ihre Kanzlei bunt und stylish eingerichtet und steht für Feminismus ein. Auch fachlich konzentriert sich Leonie nicht ausschließlich auf das Ausstellen saftiger Rechnungen, sondern setzt sich stattdessen für ArbeitnehmerInnenrechte und gegen Diskrimierung ein. Mit ihrer Berliner Kanzlei will sie einen sicheren Ort für all diejenigen bieten, die sich sonst in der Rechtsberatung unwohl fühlen, z.B. SexarbeiterInnen, queere Menschen, BIPOC. Leonie vertritt als Fachanwältin für Arbeitsrecht aus Überzeugung keine Firmen oder Konzerne, sondern ausschließlich ArbeitnehmerInnen, Personal- und Betriebsräte und andere Gremien. 

Also: Ganz egal, ob ihr selbst Jura studiert oder studiert habt, eventuell gerade juristischen Beistand sucht oder auch nicht – Leonie hat jede Menge zu erzählen und wirft ein erfrischend realistisches und modernes Licht auf den Beruf der AnwältIn. Die perfekte Kombi also für meinen kleinen Job-Talk…

Foto: Mirja Zentgraf

Wie genau lautet deine Jobbezeichnung bzw. dein Titel?

Ich bin Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht. Das hat mich in die wunderbare Situation gebracht, im April 2020 meine eigene Kanzlei eröffnen zu können – wie ich sie mir immer ausgemalt habe. Ich bin an sich kein großer Fan von Titeln, der Fachanwaltstitel ist aber deshalb wichtig und toll, weil man diesen nur erhält, wenn man gegenüber der Rechtsanwaltskammer theoretische und praktische Erfahrung in erheblichem Umfang in einem Rechtsgebiet nachgewiesen hat. Damit können sich Mandant:innen darauf verlassen, dass sich die Rechtsanwält:in auf diesem Gebiet auch wirklich auskennt. Es ist unmöglich, in allen Rechtsgebieten gleichermaßen fundiert zu arbeiten. Das gilt vor allem für die Praxis und die taktischen/strategischen Erwägungen, auch wenn man natürlich im Studium theoretisch alles lernt. Ich bin daher eine Verfechter:in der Spezialisierung im Rechtsberatungsbereich.

Und weil ich meinen Job liebe und dieser weit mehr ist als nur ein Mittel zum Geld verdienen, arbeite ich ausschließlich für Arbeitnehmer:innen und nicht für Arbeitgeber. Darüber hinaus arbeite ich mit Interessenvertretungen von Arbeitnehmer:innen wie Betriebsräten, Personalräten und Gewerkschaften. Ich biete für Opfer von Diskriminierung oder sexualisierter Gewalt am Arbeitsplatz und im Fall von Kündigungen sowie für BIPOC und LGBTQ+-Personen die Erstberatung auf Nachfrage seit jeher kostenfrei an und rechne ansonsten, soweit möglich, nur die gesetzlichen Gebühren ab. 

Foto: Delia Baum

Und wie bist du geworden was du jetzt bist?

Ich habe nach dem Abitur Jura studiert und mit zwei Staatsexamen abgeschlossen. Ich bin daher eine sogenannte “Volljuristin”. Ich habe mich schon sehr früh im Studium für den Schwerpunkt Arbeitsrecht entschieden mit der Idee, nur Arbeitnehmer zu vertreten. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und habe während des Studiums immer in Teilzeit gearbeitet. Mir war daher immer klar, wie wichtig Arbeitnehmerrechte für den Gesamtzustand unserer Gesellschaft sind.

Dass ich das Selbstvertrauen gefasst habe, diese in meiner eigenen Kanzlei zu vertreten, hat aber noch ein bisschen gedauert. Ich glaube ohnehin, dass es eine gute Idee ist, in meinem Beruf erst einmal viel Erfahrung zu sammeln und die juristischen Grundlagen in der Praxis zu vertiefen. Das meiste, was man als Rechtsanwältin können muss, lernt man nicht im Studium und die Unterschiede zwischen den Rechtsgebieten sind riesig. Ich bin seit 2014 Rechtsanwältin und habe seit 2019 den Fachanwaltstitel im Arbeitsrecht. Mir war es wichtig Berufserfahrung in einer renommierten Kanzlei zu sammeln, die seit Jahren in meinem Rechtsgebiet tätig ist. 

Ich wusste aber immer, dass ich die juristische Welt verändern und mein eigenes Ding machen will und das habe ich im April 2020, also vor mehr als einem Jahr, mit meiner eigenen Kanzlei verwirklicht. Ich habe noch nie verstanden warum Kanzleien so aussehen müssen, wie sie aussehen. Es scheint manchmal fast, als würden Design, Diversität, Kunst und Ästhetik und Jura sich gegenseitig ausschließen.

Deshalb habe ich mich entschieden Farbe, Vielfalt und ein bisschen Rosa in die Rechtswelt zu bringen und einen Ort zu schaffen, an dem Rechtsberatung seriös aber auch flauschig ist.

Foto: Delia Baum

Wusstest du immer schon, dass du das beruflich machen möchtest?

Ich habe mich kurz vor dem Abitur zum Jura-Studium entschieden und wusste damals auch schon, dass ich Rechtsanwältin werden möchte. Zuviel Ally McBeal geguckt. Das klingt alles als wäre ich von Anfang an wahnsinnig zielstrebig gewesen, was nicht stimmt. Ich habe oft überlegt etwas anderes zu machen, insbesondere da die beiden Staatsexamen extrem hart sind und auch die ersten Berufsjahre waren kein Zuckerschlecken. Mittlerweile könnte ich aber nicht glücklicher sein, dass ich es durchgezogen habe.

Und wie können wir uns deinen Arbeitstag vorstellen?

Morgens gehe ich entweder ins Büro oder direkt zum Arbeitsgericht, wenn ich dort Verhandlungstermine habe. Wenn keine Termine anstehen, arbeite ich auch ab und zu gerne im Homeoffice. Dann ist Philipp, mein wunderbarer Büroassistent, vor Ort und kümmert sich um die Mandant:innen. Wenn ich ins Büro komme, mache ich uns jeden Tag erstmal leckeren Filterkaffee und sorge dafür, dass das Büro hübsch aussieht. Dienstags kommt die Blumenlieferung von meiner Lieblingsfloristin. Ich finde die Grundlage für jedes gute und produktive Arbeiten ist, dass Mitarbeiter und Mandanten sich wohl und geborgen fühlen. Deshalb lege ich einfach wert darauf, dass es hier nach gutem Kaffee duftet, die Seife gut riecht und immer frische Blumen da sind.

Vormittags sehe ich dann in der Regel die Post durch und mache Schriftsätze. Ich versuche dann eine richtige Mittagspause zu machen und gehe gerne auch draußen mit Freunden oder Geschäftspartnern essen. Ich habe um das Büro herum wegen der wunderschönen Lage sehr viel Auswahl. Wenn das nicht klappt, kann man sich bei mir im Büro zum Glück auch sehr gut entspannen. Nachmittags habe ich meist zwei bis drei Beratungsgespräche mit Mandanten oder organisiere den rein geschäftlichen Teil der Kanzlei. Beratungsgespräche können jetzt mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen wieder vor Ort stattfinden, was mich sehr freut, weil mein Büro einfach wunderschön ist, ich aber auch finde, dass man in so einem persönlichen Treffen eine bessere Vertrauensgrundlage schaffen kann. Auf Wunsch mache ich aber nach wie vor auch oft Videoberatungen.

Foto: Delia Baum

Was sind die größten Herausforderungen in deinem Job?

Das Schwierigste ist es, einen Ausgleich zu finden zwischen dem Bedürfnis nach Gerechtigkeit und Menschen zu helfen und dabei trotzdem betriebswirtschaftlich sinnvoll zu arbeiten. 

Die Anwaltsgebühren sind gesetzlich festgeschrieben und machen insbesondere für Selbstzahler ohne Rechtsschutzversicherung nicht immer Sinn. Manchmal muss man Menschen, die wahnsinnig ungerecht behandelt wurden, sagen, dass ein Verfahren für sie betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll ist, obwohl ich vielleicht nichts lieber tun würde, als den Arbeitgeber zu verklagen. Das fällt mir vor allem bei Fällen von Diskriminierung extrem schwer und ich würde mir sehr wünschen, dass den Mandant:innen hier noch effektivere rechtliche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Der Umgang der Gerichte mit diesen Verfahren ist wenig zufriedenstellend und die durchschnittlich zugesprochenen Entschädigungssummen sind meines Erachtens viel zu niedrig. Insbesondere größere Arbeitgeber können diese leicht verschmerzen und haben dadurch kaum Anlass wirklich etwas zu ändern. Viele Länder bringen ja zusätzliche Antidiskriminierungsgesetze auf den Weg, in der Praxis ändert sich dadurch leider bisher nicht viel.

Eine andere Herausforderung ist es sicherlich, die Mandant:innen zu der für sie besten Entscheidung anzuleiten ohne dabei zu bevormunden. Mir ist es wichtig, dass meine Mandant:innen zu jedem Zeitpunkt so viel von den Vorgängen verstehen, dass sie mit der entsprechenden Hilfestellung ihre eigenen Entscheidungen dazu selbst treffen können. Das kostet natürlich oft Zeit, ist für mich aber unerlässlich.

Foto: Mirja Zentgraf

Wie hältst du es mit Performancedruck oder Selbstzweifeln?

Beides gibt es regelmäßig. Darauf muss man sich einfach einstellen, wenn man sich selbständig macht. Der eigene Beruf wird dadurch persönlicher als im Anstellungsverhältnis. Mit Performancedruck muss man im Jura-Studium ohnehin früh umgehen lernen, da man es sonst einfach nicht durch die Staatsexamina schafft. Mir half und hilft es immer sehr, mich auf mich und meine Bedürfnisse zu konzentrieren. Yoga und Meditation sind dafür einfach eine gute Maßnahme. Aber grundsätzlich sind Hobbies und Aktivitäten super, die nichts mit dem Job zu tun haben und einem das Gefühl geben, dass man stark ist und alles kann, wenn man es sich nur in den Kopf setzt.

Was die Selbstzweifel angeht, werden diese einem insbesondere als Frau ja quasi mit in die Wiege gelegt. Das ist einfach ein langer Weg, das loszuwerden und ein paar Selbstzweifel sind nur gesund und hilfreich, wenn man sich davon nicht zurückhalten lässt. Wenn man an sich selbst nie zweifelt oder Kritik übt, kann man auch nicht herausfinden, wer man ist und was man wirklich will.

Deswegen habe ich aufgehört, ein bestimmtes Bild erfüllen zu wollen und bin zu hundert Prozent authentisch, verstecke meine Tattoos nicht und habe mein Büro und meine Website so designt, dass nichts an ein Anwaltsbüro erinnert und sich Mandanten ausschließlich mit Kunst und wunderschönem Interiordesign wohlfühlen können. Ich arbeite ausschließlich elektronisch, soweit die Gerichte mich lassen. Trotzdem habe ich langjährige Erfahrung sowohl im individuellen, als auch im kollektiven Arbeitsrecht und kann meinen Mandanten gleichzeitig hohe Fachkenntnis, aber auch Empathie und Lebenserfahrung bieten. Man kann tatsächlich eine großartige, motivierte und zielstrebige Rechtsanwältin sein, ohne sich sozialen Normen anzupassen, aus einer Familie von Juristen zu stammen und sich für nichts anderes als juristische Bücher zu interessieren.

Foto: Delia Baum

Was würdest du jungen Mädchen raten, die diesen beruflichen Weg einschlagen möchten?

Hör auf dein Bauchgefühl und lass dir niemals einreden, du könntest irgendwas nicht! Und: „Haters gonna hate!“

Welche 3 Eigenschaften sind deiner Meinung nach unerlässlich für deinen Job?

Empathie, Durchsetzungsfähigkeit, Geduld – aber es sind auch ganz sicher mehr als drei und man lernt einfach jeden Tag irgendwas dazu.

Foto: Delia Baum

Der beste Karrieretipp, den du je erhalten hast?

„Mach nicht alles alleine. Andere können Sachen auch gut.” Das ist weitaus schwieriger als es sich anhört, wenn es darum geht, den eigenen Traum zu verwirklichen, aber seit ich einen Mitarbeiter habe und auch ansonsten gekonnt delegiere, ist meine Arbeit viel einfacher und ich kann mich voll und ganz auf meine Mandant:innen konzentrieren.

Was wärst du wohl geworden, wenn du nicht diesen Weg eingeschlagen hättest?

Ich habe mich kurz vor dem Abitur zwischen Bühnenbild und Jura entschieden, glaube aber mittlerweile, dass ich genau das mache, was ich machen sollte. Ich habe viele Interessen und Talente, die einen Platz in meinem Leben haben und mich glücklich machen, die ich aber niemals beruflich machen wollen würde, wie Interiordesign, Kunst, Kochen, Yoga usw. Das ist mir alles wichtig und macht mich aus, ich spüre da aber keine Berufung.

Foto: Delia Baum

Was sind deine Pläne/Wünsche für die Zukunft?

Als ich meine Kanzlei eröffnet habe, war es mir wahnsinnig wichtig, einen Raum zu schaffen, in dem sich jeder Mensch willkommen, aufgehoben und ernst genommen fühlt, insbesondere Sexarbeiter:innen, queere Menschen, BIPOC, Frauen und alle, die sich einfach nicht damit wohl fühlen, wie Rechtsanwält:innen üblicherweise so auftreten und präsentieren. 

Was mich besonders macht, ist aber glaube ich noch nicht einmal der für mich nicht debattierbare Feminismus und die Toleranz für alle Menschen. Ich würde mir auch nicht anmaßen, die erste zu sein, die einen sicheren Raum für Frauen, BIPOC und queere Menschen schafft und diese rechtlich vertritt, da hatten ganz sicher viele Vorreiter seit den 80ern mit viel schwierigeren gesellschaftlichen Umständen zu kämpfen und mussten viel mehr aufgeben und riskieren als ich das muss. 

Was mein Büro besonders macht ist viel mehr, dass ich die gesellschaftlichen Erwartungen und völlig unrealistischen Ideen in Frage stelle, die seit Jahrzehnten in der Rechtswelt herrschen und Mandanten sowie Richtern und Rechtsanwälten nur schaden. Dieses Bild vom gestressten, overachievenden Anwalt, der 80 Stunden pro Woche arbeitet und immer auf den letzten Drücker Fristen zu erledigen hat, immer einen Anzug trägt, dem es nur ums Geld geht und um seine Arbeit zu erledigen, zu Hilfsmitteln greift, muss sich ändern, da damit keinem einzigen Mandanten geholfen ist. Ich wähle hier bewusst die männliche Form, da Frauen in dieser Welt ohnehin zu kurz kommen und weitaus seltener eigene Kanzleien gründen. 

Schon von Beginn des Studiums an wird einem als Jurist:in eingetrichtert, man könne nur mit zehn Stunden täglich Lernen und kurz vor dem Nervenzusammenbruch sein Examen bestehen, während weiche Kompetenzen völlig ausgeblendet werden und weder spätere Richter, Staatsanwälte oder eben Rechtsanwälte lernen, mit Menschen umzugehen oder wie man auch nur ein Verfahren führt. Dennoch kann jeder sofort nach dem zweiten Staatsexamen Richter:in oder Rechtsanwält:in werden. Das Jurastudium und der Abschluss mit Staatsexamen braucht seit Jahren eine Reform, aber auch wie die Rechtsberatung in der Arbeitswelt gelebt wird, muss sich dringend ändern. Nirgendwo wird so rückschrittig und mit so viel Papier gearbeitet wie in der Rechtswelt. Wo sonst gibt es noch so eine binäre Rollenverteilung? Wo sonst werden noch Faxe geschickt und trotz Pflicht zur Digitalisierung alles vorsichtshalber noch einmal ausgedruckt? Welche andere Berufsgruppe hat kaum Bezug zum echten Leben?

Und da sich Änderungen meistens erst ergeben, wenn irgendjemand damit anfängt, mache ich eben seit einem Jahr alles so, wie ich denke, dass es sein sollte und hoffe, dass sich viele andere anschließen und es bald Kanzleien für andere Rechtsgebiete gibt, die ich meinen Mandanten guten Gewissens empfehlen kann.

2 Antworten zu “„Und was machst du so?“ – im Job-Talk mit Rechtsanwältin Leonie Thum”

  1. Dankeschön für das tolle Interview mit RA Leonie Thum, ich bin begeistert! Ich freue mich über den Mut, die Tatkraft, die Kreativität dieser jungen Rechtsanwältin und wünsche mir, dass es bald noch viele Kanzleien dieser Art geben wird. Vielleicht kann sie sich gleichgesinnte Fachanwälte suchen und ihr wunderbares Konzept der fachkompetenten Wohlfühlkanzlei – vielleicht als Franchiseunternehmen – vervielfachen. Herzlichen Glückwunsch an diese wunderbare, junge Frau. Weiter so, das ist einfach toll!! Herzliche Grüsse Simone Roos

    • Liebe Simone, eine super Idee! Ich hoffe auch, dass diese Branche ein wenig ihrer Steifheit verliert und zugänglicher wird – zumal man ja meistens ihre Hilfe braucht, wenn man eh schon in einer eher verletzlichen Lage ist! Liebe Grüße, Karo

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