Beziehungsrealität – next level: Zusammenwohnen ist toll, ABER…

Kolumne: Die erste gemeinsame Wohnung

Nach über zwei Jahren Suche war es im Sommer vergangenen Jahres endlich soweit: Mein Freund und ich haben unsere erste gemeinsame Wohnung gefunden und sind zusammengezogen. Hallelujah!

Endlich keine Übernachtungstaschen mehr packen müssen, keine „Besuche“ beim anderen oder die ewige leidige Frage „Zu mir oder zu dir?“. Endlich haben wir und unsere Beziehung eine echte Home Base, von der aus wir planen und weiterdenken können und natürlich hat diese Veränderung irgendwie auch unsere Beziehung auf eine neue Ebene gehoben. Man schläft jeden Abend zusammen ein, wacht jeden Morgen zusammen auf, denkt, wenn man an „Zuhause“ denkt, an denselben Ort und hat einfach viel mehr voneinander. Selbst wenn jeder sein Ding macht, fühlt es sich nicht nach Getrenntsein an, da man sich ja trotzdem in denselben vier Wänden aufhält, statt sich in die jeweils eigene Wohnung zurückzuziehen. Verdammt ist das schön! Ja, das ist es in jedem Fall und ich konnte mir schon nach wenigen Wochen des Zusammenlebens nicht mal mehr im Traum vorstellen, alleine in meiner alten Bude zu leben.

ABER – und aufgrund des Titels war ja irgendwie klar, dass hier ein aber kommt – verdammt nochmal ist das auch anstrengend!

Klar, habe ich mir im Vorhinein meine Gedanken darüber gemacht, was mit unserer Beziehung passieren könnte oder würde, wenn wir diesen logischen nächsten Schritt gehen. Dabei hatte ich allerdings befürchtet, dass wir uns in Sachen Einrichtung an die Gurgel springen würden (ok, sind wir auch ein bisschen), vielleicht auch, dass man sich nach einiger Zeit mal auf den Keks geht und Ruhe sucht, aber nicht mit unserem jetzigen Streitthema Nummer 1 – dem Haushalt!

Ohne Witz – auf die Idee wäre ich nie gekommen! Tatsache ist aber, dass sich in den letzten Monaten 90% unserer Streits um Themen wie die Klospülung, die Heizung, die Spülmaschine oder die beste Art und Weise des Putzens drehen. Klingt zunächst witzig (finden wir übrigens hinterher auch oft), aber wenn wir erstmal knietief in einer unserer Debatten stecken, könnte man meinen, es ginge um Eifersucht, Betrug oder Mordphantasien – und dann ist es eigentlich egal worum genau sich die Streits drehen, denn streiten ist anstrengend. Und nagt auf Dauer an der Beziehung.

Aber lasst mich zum Verständnis erstmal kurz die Grundvorraussetzungen klären: Mein Freund ist Ingenieur. Das heißt, er ist praktisch und effizient, sparsam, durchdacht und logisch. Ich hingegen (übrigens kein Ingenieur), emotional, ungeduldig, manchmal mit dem Kopf in den Wolken und mehr am Großen Ganzen, als am Detail interessiert.

Sprich: Wir sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht.

Das, was uns in unserer Beziehung allerdings beide so bereichert, birgt beim Thema Zusammenwohnen ganz schön viel Streitpotenzial. Ein Beispiel: Mein Freund verfolgt beim Heizen der Wohnung ein ressourcensparendes, effizientes Prinzip: Nur der Raum, in dem man sich gerade aufhält, wird beheizt, während die anderen Zimmer erst gelüftet und dann die Türen geschlossen werden, sodass man keine Wärme verliert. Logisch und energieeffizient!

Im Gegensatz zu meinem Freund verlasse ich aber selten das Haus in der Früh und komme erst abends wieder, sondern halte mich den ganzen lieben langen Tag in der Wohnung auf und arbeite. Dabei wechsle ich gerne mal zwischen Büro, Wohn- und Schlafzimmer, lasse Türen offen, um den Postboten klingeln zu hören und bekomme, durch das viele Sitzen, leider meinen Kreislauf kaum hoch. Die Folge: Ich friere den ganzen Tag. Im Winter oft so schlimm, dass ich mit 3 Lagen Kleidung, einer Decke und zwei warmen Kirschkernkissen am Schreibtisch sitze und trotzdem immer noch friere. Drehe ich dann irgendwann die Heizung auf, um mir wenigstens ein wenig Erleichterung zu verschaffen, verlasse dann den Raum, weil ich gerade irgendetwas in einem anderen Raum anfangen will und kommt mein Freund dann nach Hause, darf ich mir sofort die Frage anhören: „Wieso steht die Heizung in deinem Büro auf 6 wenn du doch im Wohnzimmer bist?“ (den gereizten Unterton in seiner Stimme müsst Ihr Euch an dieser Stelle bitte dazudenken). Daraufhin fühle ich mich in diesem Moment natürlich angegriffen, versuche meine letzten fünf Schritte zurückzudenken und zu erklären, wieso ich die Heizung nicht ausgedreht und die Tür nicht geschlossen habe. Weil ich mal wieder nicht mitgedacht habe, weil ich irgendetwas in beiden Räumen gleichzeitig gemacht oder – weil ich es schlicht und einfach vergessen habe vor lauter Glückseligkeit, dass ich endlich nicht mehr mit blauen Lippen rumlaufe!

Grund genug für einen Streit oder zumindest für eine hitzige Debatte!

Ein weiteres Beispiel: Ist Geschirr schmutzig, räume ich es in die Spülmaschine ein und wenn die dann voll ist, stelle ich sie an. Logisch oder? Nicht in den Augen meines Freundes. Der räumt nämlich alles wieder aus, um Gläser, Pfannen und Kaffeetassen dann tetrisartig wieder einzuräumen (ich schwöre Euch, während er das tut schwirren Zahlen und Gleichungen à la „A Beautiful Mind“ um seinen Kopf), sodass danach mindestens noch Platz für drei weitere Gläser und zwei Teller ist. Der abschließende Kommentar nach dem 10-minütigen Unterfangen: „Die ist nicht voll. Also machen wir sie auch nicht an.“ Ebenfalls furchtbar logisch, aber egal wie oft ich ihm dabei zusehe, wie er mit seinem Ingenieurshirn jeden Quadratmillimeter der Spülmaschine ausnutzt und es ihm danach gleich tun will, bekomme ich genauso viel rein wie vorher. Das mag an meinem fehlenden Vermögen zum räumlichen Denken liegen, ja – aber es ist auch einfach fürchterlich anstrengend. Wie man es auch dreht und wendet – wir sind was den Haushalt angeht schlicht und einfach grundverschieden. An sich nicht schlimm, aber…

Wäre da nur nicht diese eine Eigenschaft, über die wir beide im gleichen Maße verfügen: Sturheit!

Denn statt mit den Augen zu rollen und sich anschließend wieder zu vertragen, beharren wir beide felsenfest auf unseren jeweiligen Herangehensweisen und schaffen es so immer wieder aufs Neue, uns über dieselben Nichtigkeiten anzugiften. Ich gebe ja zu, dass er in fast allen Dingen objektiv betrachtet Recht hat und in Sachen energiesparendes und umweltfreundliches Wohnen einen Orden verdient hätte. Und ja, ich gebe mir auch große Mühe, seine Herangehensweisen zu beherzigen, die Stopptaste der Klospülung vorzeitig zu betätigen, weniger Nudelwasser im Wasserkocher zu erhitzen, als eigentlich in den Topf passt oder die Badfliesen nicht aus Faulheit von alleine trocknen zu lassen, sondern sie nach dem Putzen trockenzuwischen, um Kalkflecken zu vermeiden! Aber angelernte und eingeschliffene Verhaltensmuster lassen sich nicht von heute auf morgen ändern. Ich habe einfach ein anderes Temparaturempfinden als er und finde geschlossene Türen ungemütlich. Dann schreie ich, manchmal still in meinem Kopf, manchmal aus voller Kehle: „Ich wohne aber auch hier! Ich darf das!“ Und anschließend schmollt jeder in seiner Ecke.

Versteht mich nicht falsch, wir lieben uns nach wie vor – aber wir hassen uns dann und wann auch ein ganzes Stück mehr!

Denn das Zusammenwohnen und das damit einhergehende umfassende Gefühl des „Gemeinsamen“, potenziert das nebeneinander Bestehen und Akzeptieren von Gegensätzen um ein Vielfaches. Über 30 Jahre macht jeder von uns nun die Dinge schon auf diese eine Weise und egal wieviel Liebe da auch ist, das Bedürfnis, den anderen von der Richtigkeit seiner Herangehensweise zu überzeugen, bleibt. Vor allem bei zwei so sturen und gleichzeitig sensiblen Menschen, wie meinem Freund und mir. Und in diesen Momenten vergessen wir wohl zu oft zu leicht, welche Dinge und Werte uns verbinden und konzentrieren uns stattdessen auf die Gegensätze.

Aber immerhin haben wir inzwischen verstanden, was das Problem ist und versuchen uns in Babyschritten anzunähern. Wie das konkret aussieht: Er darf die Spülmaschine allabendlich aus- und wieder einräumen und ich habe zu Weihnachten eine Heizdecke bekommen. So haben wir zumindest zwei Baustellen bereits einigermaßen in den Griff bekommen. Und für alle anderen, bleibt uns schließlich noch der Rest unseres Lebens.


 

8 Antworten zu “Beziehungsrealität – next level: Zusammenwohnen ist toll, ABER…”

  1. Herrlich geschrieben! Mein Mann und ich wohnen jetzt 5 Jahre zusammen und haben in der Zwischenzeit auch geheiratet. Am Anfang war es genau so! Manches ist besser geworden. Aber selbst gestern Abend haben wir uns noch richtig gestritten.. Es ging um die Zubereitung des Essens ?

    • Kleine Streitereien gehören wahrscheinlich zu jedem Zusammenleben dazu, aber auf die Großen könnte ich gut und gerne verzichten 😉 Danke fürs Mut machen <3

      • interessant geschrieben! ich wohne jetzt seit fast 3 jahren mit meinem freund zusammen, mittlerweile in der 3. wohnung, und mache so ganz andere erfahrungen?

          • da wir beide aus großfamilien kommen und schon in anderen (meist eher unglücklichen) wohnsituationen mit mitbewohnern waren, sind wir sehr gut darin gewesen unsern rhythmus zu finden. man muss aber fairerweise auch dazu sagen, dass wir uns bei den allermeisten dingen sehr ähnlich in unseren ansprüchen sind, unsere vorerfahrung trägt natürlich viel dazu bei: wir lassen uns stehen. ähnlich wie bei einem anderen kommentar haben wir wohl unseren modus vom zusammenleben einfach von familie und wg übertragen, nur mit geteiltem bett.

          • Verstehe! Ich denke auch, dass es leichter ist, je ähnlicher man sich in den alltäglichen Dingen ist. Aber das „sich stehen lassen“ ist ein ganz wichtiger Punkt. Werden wir unbedingt auch beherzigen 😉

            Liebe Grüße,
            Karo

  2. Ich finde eure Lösung auch schon super, würde aber einfach grundsätzlich empfehlen: lasst euch gegenseitig stehen. Ihr seid beide erwachsene Leute und niemand hat dem anderen zu sagen wie er die Spülmaschiene einzuräumen hat oder wie er zu heizen hat- die Wohnung gehört nämlich euch beiden. Wenn er die Spülmaschiene nochmal aus und ein räumen will- super, soll er machen. Aber still und für sich, ohne dir Vorwürfe zu machen und auch ohne dass du ihm etwas sagst. Wenn du zuhause bist darfst du heizen wie du willst- es ist dein Haus, goddamnit!!- wenn er nach Hause kommt und es ihm dann wichtig ist und du evtl eh nicht mehr viel in deinem Arbeitszimmer bist, dann machst du da die Heizung wieder aus (oder er macht das). Es geht darum einander stehen zu lassen, es gibt keinen perfekten Weg und wie du so schön beschrieben hast- ihr habt beide recht, jeder aus seinen Gründen in der Situation.

    Ich vergleiche das mal mit normalen Mitbewohnern, bei denen keine romantischen Gefühle sind: da akzeptiert und respektiert man sich auch als erwachsenes Individuum, wenn meine Mitbewohnerin die Spülmaschiene katastrophal einräumt (was sie macht) und ich unbedingt noch was rein räumen möchte, dann mache ich das eben und zwar ohne es ihr gegenüber zu erwähnen.

    Also, denkt mal über einander als autarke Mitbewohner nach, wenn es um solche Diskussionen geht und lasst euch einfach gegenseitig stehen ? wenn dann die erste Stromrechnung kommt, die wegen deinem Verbrauch Karo völlig exorbitantl ist, dann kannst du ja nochmal über sein System nachdenken 😉

    Cheerio!

    • Danke fürs deine ehrlichen und schonungslosen Worte! Du hast völlig Recht – und da ich zumindest noch gar keine Erfahrung im Zusammenleben habe, ist das tatsächlich ein Gedanke, der mir noch nicht gekommen ist.
      Happy Sunday & liebst, Karo

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