Zwischen Anspruch und Realität: Müssen Influencer Vorbilder sein?

Müssen Influencer Vorbilder sein?

Vor zwei Wochen habe ich bei Instagram eine Umfrage gestartet. Ich wollte von Euch wissen, ob Ihr von Bloggern/Influencern erwartet Vorbilder zu sein. Sollen sie? Müssen sie? Können sie? Und wenn ja, wieso?

So viel gleich vorweg. Die Umfrage ging sehr knapp aus. 45% von Euch stimmten für Ja, 55% für Nein. Viel interessanter aber als diese Prozentzahlen waren Eure vielen Nachrichten, Meinungen und Denkansätze, die mir mal wieder gezeigt haben, dass auch etwas komplexere und sperrige Themen durchaus einen Platz in den sozialen Medien haben. Schließlich sind Instagram & Co. schon lange keine reine Spaß-Plattform mehr, sondern ein hochprofessionelles Medium für Werbung, Marketing und Inspiration. Und zwar nicht nur für diejenigen von uns, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen, sondern auch für Euch Konsumenten.

Ich selbst tue mich mit dem Begriff Vorbild sehr schwer. Ich möchte keines sein und nehme mich selbst so auch nicht wahr. Schiebt man aber erstmal die typischen Assoziationen einer weichgespülten Person beiseite, die weder raucht, noch trinkt und immer zeitig ins Bett geht, steckt im Wort Vorbild noch so viel mehr. Es geht nämlich um Verantwortung. Um eine moralische Komponente und um das Bewusstsein, dass das eigene Handeln gesehen, bewertet und eventuell (wenn auch nur unterbewusst) als Vergleich herangezogen wird. Dabei wird es besonders brenzlig, wenn die eigene Zielgruppe Minderjährige sind.

So schrieb mir beispielsweise eine Leserin, die selbst Psychologin ist, dass sie persönlich zwar nicht findet, dass Influencer Vorbilder sein müssen – als Psychologin aber, muss sie für Ja stimmen. Und hier liegt einer der Knackpunkte, wenn man Influencer moralisch haftbar macht: Influencer müssen sich über ihre Zielgruppe bewusst sein und verstehen, wen sie mit ihren Empfehlungen und ihrem Content eigentlich erreichen. Sind meine Follower also sehr jung oder vielleicht sogar noch minderjährig, wenig erfahren im Umgang mit Medien und Menschen, ist auch deren Beeinflussbarkeit höher. Dann würde auch ich ganz klar auf Ja tippen. Jungen Mädchen vorzugaukeln, dass man durch Tee abnimmt, die Lippen mit zwielichtigen Home-Tools voller werden oder Studium und Ausbildung gar nicht mal so wichtig sind, wenn man nur schöne Bilder von sich und seiner Chaneltasche macht, ist sowohl menschlich, als auch psychologisch mehr als bedenklich. Aber auch Körperbilder oder unrealistische Schönheitsideale sind etwas, dass man auf Instagram nicht leichtfertig raushauen sollte, auch wenn es einem selbst in seiner Insta-Bubble vielleicht als komplett normal erscheint. 

Meine Zielgruppe aber ist im Schnitt zwischen 25 und 35 Jahren alt. Bekomme ich hier also einen Freifahrtschein in Sachen Verantwortung?

Nein – selbstverständlich nicht. Auch wenn ich aus meinen zwei Jahren Austausch mit Euch sehr wohl weiß, dass Ihr mir Produkte nicht stumpfsinnig nachkauft, nur weil ich sie in die Kamera halte. Auch ich werde gemessen, bewertet und eventuell beeinflusse ich sogar den ein oder anderen von Euch sogar. Worum es mir persönlich beim Thema Verantwortung aber besonders geht, ist ein Aspekt, den auch Ihr mehrfach genannt habt: Authentizität. So schrieb mir eine Leserin z.B.: „Es geht nicht darum, dass Ihr perfekt sein müsst – sondern echt. Das bedeutet auch, dass keine unrealistischen bearbeiteten Bilder gepostet werden oder Perfektion vorgegaukelt wird. Auch das Scheitern gehört zum Echtsein dazu.“ Wenn man bedenkt, wieviel Einfluss die sozialen Medien auf Schönheitsideale oder Selbstwahrnehmung haben, kann man diesen Punkt gar nicht genug unterstreichen. Influencer sind halt auch nur Menschen (abgedroschen, aber wahr). Niemand auf diesem Planeten ist konstant sorgenfrei, schlürft nur Cappuccino vorm Eiffelturm oder führt eine Beziehung, die rund um die Uhr den Hashtag #couplegoals verdient hätte. Und genau deshalb war es mir von Anfang an so wichtig, neben Mode, Beauty und Interior, meine Kolumnen auf dem Blog zu etablieren. Einfach weil es völlig unrealistisch ist, dass mich neben Trends und Produkten so rein gar nichts anderes beschäftigt.

Ich denke, leide, träume und scheitere – und genau das ist ebenfalls Teil meiner Verantwortung.

Ich habe Hautprobleme, Schreibblockaden und Zukunftsängste. Und mir persönlich bricht kein Zacken aus der Krone, genau das zu thematisieren, zu teilen und zu zeigen. Dennoch verstehe ich sehr gut, wenn man das auch nicht teilen möchte. Wenn man Privates privat halten und Job und Leben trennt. Viele Influencer möchten mit ihren Bildern ausschließlich inspirieren, sich kreativ ausleben und ziehen diesen Ansatz auch konsequent durch. In meinen Augen sind Influencer deshalb nicht automatisch verpflichtet, jeden Gedanken, jeden struggle, jede Unsicherheit mit ihrer Followerschaft zu teilen. Die negativen Aspekte des Lebens (inklusive Speckröllchen) aber dann einfach auszuradieren, halte ich auch nicht für die gesündeste Herangehensweise. Schließlich liegen Reiz und Erfolg der sozialen Medien genau in dieser besonderen Nähe und Vertrautheit, die uns Instagram & Co. bieten. Das ist keine Einbahnstraße und dieses Privileg sollte auch als solches erkannt werden.

Wenn wir aber von einer Vorbildfunktion sprechen, muss ein Punkt ganz klar ebenfalls genannt werden – und zwar die teilweise überzogenen Maßstäbe, an denen Influencer gemeßen werden. Denn nur weil jemand eine gewisse Reichweite hat, heißt es nicht, dass er für alles geradestehen muss, was in der Welt verkehrt läuft. Wenn ich mir manchmal die Kommentare oder geposteten DM’s von Kolleginnen durchlese, läuft es mir kalt den Rücken runter. Da wird der gemeine Influencer nämlich gerne mal zum Sündenbock der Nation. Eine Plastiktüte im Bild? Influencer xy verschmutzt höchstpersönlich die Ozeane. Eine berufliche Flugreise? Die Klimakatastrophe geht auf das Konto von Influencer xy. Ihr versteht hoffentlich worauf ich hinaus will. Lebensweisen von im Endeffekt ganz normalen Menschen werden da beispielhaft betrachtet und kritisiert was das Zeug hält. Freiwild halt. Die Auffassung dahinter: Wer sich öffentlich zeigt, muss auch mit Kritik leben.

Kritik – klar, jederzeit! Aber an den Pranger gestellt werden? Not cool.

Natürlich sollten Influencer ihre Reichweite auch dafür nutzen, nachhaltige oder ökologisch vertretbare Verhaltensweisen aufzuzeigen – aber glaubt man all den Hate-Kommenataren, die die ach so falschen Lebensweisen kritisieren, könnte man meinen, dass in Deutschland niemand mehr Plastik verwendet oder Urlaub mit dem Flieger macht. Genauso unglaubwürdig, wie manch retuschierter Post. Wie auch im echten Leben, macht der Ton die Musik. Und deshalb werde ich nach wie vor nie verstehen, wieso manche Menschen sich das Recht herausnehmen, wildfremde Menschen zu beleidigen, statt sich an die eigene Nase zu fassen. Das ist in meinen Augen in den meisten Fällen nämlich nicht nur heuchlerisch, sondern auch hat auch weiter Konsequenzen, als nur die Verletzung. Viel zu oft resultiert aus der Angst vor Hate nämlich genau jene oberflächliche Darstellung einer perfekten Realität, die so oft kritisiert wird. Wer keine Ecken und Kanten zeigt, kann auch nicht anecken. Die Konsequenz: 08/15 Accounts mit denselben Motiven, derselben Botschaft und denselben Captions, die für andere auch funktionieren. Langweilig, aber sicher.

„Influencer sollen menschlich sein.“ – das mit Abstand eine meiner liebsten Nachrichten auf meine kleine Umfrage.

Denn am Ende des Tages dürfen wir nicht vergessen, dass die Lichtgestalten auf Instagram auch auf die Toilette gehen, Schnupfen haben und sich meist genauso destruktiv mit anderen vergleichen, wie jeder andere. Ja, als Influencer trägt man Verantwortung. Das sollten Konsumenten und Follower meiner Meinung nach auch ganz klar einfordern. Aber: Wir müssen uns auch bewusst machen, dass wir die Wahl haben (zumindest als Erwachsene), von wem wir uns beeinflussen lassen möchten. Und dazu gehört auch das rigorose Entfolgen von Personen und Accounts, die einem nicht gut tun, zu destruktiven Vergleichen anregen oder unehrlich scheinen.

Ich selbst habe aus dieser kleinen Umfrage einiges für mich mitgenommen. Als Influencer möchte ich weiterhin wählerisch mit meinen Kooperationspartnern sein, aber gleichzeitig keine Angst davor haben, für meine Entscheidungen bis aufs Blut kritisiert zu werden. Ich will Mensch sein – und vor allem sein dürfen. Mit Ecken und Kanten, mit Hautproblemen und Sinnkrisen. Aber auch mit dem Recht darauf, Fehler zu machen, mal daneben zu liegen und nicht perfekt zu sein. Als Konsument möchte ich wiederum nicht vergessen, dass Influencer keine Übermenschen sind, die alles können müssen und immer richtig liegen. Auch moralisch habe ich persönlich kein Bedürfnis danach, mich an Influencern zu orientieren – aber das muss jeder für sich selbst entscheiden. Wo ich allerdings als Follower immer kritischer hinschaue, ist die Tatsache, ob eine Kooperation glaubwürdig und liebevoll gestaltet ist. Ob ich verstehe, wie eine Partnerschaft zustande gekommen ist oder ob ich mich schlicht und einfach veräppelt fühle. Und da bin ich inzwischen aus sehr streng geworden: Holt mich ein Influencer/Blogger nicht ab, dann bin ich weg. Und ich denke auch, dass dieser Maßstab in Zukunft nur noch strenger angelegt wird, je mehr Influencer es gibt und je mehr Eindrücke auf uns einprasseln.

Eine abschließende allgemein gültige Antwort auf die Frage, ob Influencer nun Vorbilder sein müssen oder nicht, kann ich Euch also nicht geben. Aber hoffentlich einen Denkanstoß, ein paar Denkansätze und einen Dialog zu diesem Thema. Mehr liegt tatsächlich nicht in meiner Verantwortung.

 

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